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Das Programm

Titel: Das Programm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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fast kaputt gemacht«, fuhr Chris etwas leiser fort. »Und Lenka ging es nicht viel anders, obwohl sie besser darüber hinweggekommen ist. Ich muss immer wieder an diesen Abend denken, sogar jetzt. Vor allem jetzt. Ich kann mir denken, dass es schlimm ist, einen Bruder zu verlieren. Aber es ist auch nicht gerade schön, einen Freund zu verlieren, vor allem, wenn es direkt vor den eigenen Augen passiert und man nichts tun kann.«
    »Wissen Sie«, sagte Marcus. »Ich war sehr enttäuscht, als er Investmentbanker wurde. Er war ein verdammt guter Maler. Sehen Sie das Bild da drüben?« Über Chris’ Schulter hinweg zeigte er auf das Gemälde eines petrochemischen Werks bei Nacht: kühn geschwungene Metallkonstruktionen, orangefarbener Widerschein von Feuern, grelles Halogenlicht. Es war keins von den Bildern, die Chris kannte. Von der Tür aus war es nicht zu sehen, daher hatte Chris es beim Eintreten nicht bemerkt. In diesem Raum wirkte es völlig deplatziert, war aber offensichtlich mit großem Stolz aufgehängt worden.
    »Damit hat er am College einen Preis gewonnen. Er fing gerade an, seine Arbeiten zu verkaufen, als er alles hingeschmissen hat und an die Wallstreet gegangen ist. Ist es nicht gut?«
    Chris nickte und spürte überrascht, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, angesichts einer so konkreten Erinnerung an Alex. Er blinzelte und blickte Marcus an. »Haben Sie ihm je verziehen?«
    »Wieso? Was meinen Sie?«
    »Tut mir Leid. Ich hätte das nicht sagen sollen.« Aber an Marcus’ misstrauischem Blick erkannte Chris, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.
    »Sie haben Recht: Ich habe es ihm nicht verziehen. Ich war ein paar Jahre älter als er. Es waren die ausgehenden Achtziger, jeder wollte einen tollen Job und dickes Geld verdienen. Es machte mich krank. Ich wollte reisen. Etwas von der Welt sehen. Mich selbst nicht aus den Augen verlieren. Mich zu einem kreativen Menschen entwickeln. Alex war mein kleiner Bruder und dachte genauso wie ich.«
    Chris merkte, dass sich in Marcus ein übermächtiges Bedürfnis, von seinem Bruder zu sprechen, aufgestaut hatte, das nun, da er Gelegenheit hatte, ihm nachzugeben, sein Misstrauen überwand. Chris war bemüht, sich diese Regung zunutze zu machen.
    »Wie sah das Ihre Mutter?«, fragte er.
    »Sie begriff es überhaupt nicht. Seit unser Vater tot war, hatte sie nur noch einen einzigen Gedanken: Uns einen vernünftigen Beruf erlernen zu lassen. Nichts Aufregendes, nur etwas, was uns den Rest unseres Lebens unser Auskommen garantieren würde. Als ich das College verließ, wurde unsere Beziehung noch schlechter. Ich bemühte mich noch nicht einmal um eine Anstellung. Ich trieb mich einfach in der Karibik herum und arbeitete an Bord von Segelbooten. Mom hatte überhaupt kein Verständnis dafür. Da bin ich weitergezogen. Nach Europa. Australien. Auf die Philippinen.«
    »Haben Sie auch den Kontakt zu Alex verloren?«
    »Anfangs nicht. Ich kehrte hin und wieder zurück und hab sie beide besucht. Aber es war schwierig, vor allem mit meiner Mutter. Einmal kam ich Weihnachten nach Hause, und sie teilte mir mit, dass sie Leukämie habe. Natürlich hat mich das erschüttert. Dann stellte sich heraus, dass sie ihn besiegt hatte. Oder zumindest glaubte sie es. Dann hat Alex seine Stelle bei Bloomfield Weiss angetreten, ich dachte, zum Teufel mit ihnen, und hab mich ein Jahr nicht sehen lassen.«
    Er seufzte. »Der Krebs kam wieder. Ich glaube, später habe ich verstanden, warum Alex den Job angenommen hat.«
    »Und das war?«
    Marcus brauchte einen Augenblick, um zu antworten. Er atmete schwer, sichtlich um Fassung bemüht. Chris bemerkte, dass Angie ihn mit besorgtem Gesicht beobachtete.
    »Mom hatte keine ausreichende Krankenversicherung. Nach Alex’ Tod fand ich heraus, dass er einige große Kredite aufgenommen hatte. Und ich habe Moms Arztrechnungen entdeckt. Ziemlich happig.«
    »Alex war oft bei ihr«, sagte Chris. »Im Schulungsprogramm ist er deshalb ein paarmal verwarnt worden. Er hat sich sehr um sie gekümmert.«
    »Ja. Und ich bin ihm wohl auch dankbar dafür. Obwohl es mich manchmal so wütend macht. Ich bin wütend auf ihn und sie, weil sie mir nicht gesagt haben, was los war. Aber natürlich weiß ich, dass ich in Wirklichkeit nur auf mich selbst wütend bin. Ich war so dumm, so selbstsüchtig.« Marcus schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, ich habe erst zwei Monate später herausgefunden, dass Mom tot war. Ich habe unentwegt angerufen und keine Antwort

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