Das Programm
Strich gehen, wenn ich dieses Versprechen nicht einlösen könnte.«
Wieder herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. Chris schlug das Herz bis zum Hals. Er spürte den Drang, das Schweigen zu überbrücken, alle Argumente noch einmal aufzuzählen, aber er hielt den Mund. Zizka dachte nach. Und Chris wusste, worüber er nachdachte. Lenka.
»In Ordnung«, sagte Zizka schließlich. »Warum nicht? Ich persönlich glaube sowieso, dass all die Unruhe wegen Deutschland übertrieben ist. Noch ein paar Monate zu warten, kann nicht schaden. Ich bleibe. Wir sprechen noch einmal im Mai darüber, einverstanden?«
»Wunderbar. Dann reden wir noch mal. Ich danke Ihnen sehr, Dr. Zizka.«
Chris stieß einen Jubelschrei aus, als er den Hörer auflegte. Zwar änderte das nichts daran, dass sie das Geld von Amalgamated Veterans verlieren würden, aber der Umstand, dass sie Melville Capital im Fonds behielten, war ein psychologischer Kick, den Ollie und er gut gebrauchen konnten.
Nach diesem kleinen Sieg gab es nichts mehr, was sie Freitagnachmittag zu so vorgerückter Stunde noch verrichten konnten, daher schickte Chris Ollie nach Haus, fuhr selber mit der U-Bahn zum King’s-Cross-Bahnhof und stieg in den Zug nach Cambridge, wobei er sich alle paar Minuten nach möglichen Verfolgern umsah. Zu seiner Erleichterung konnte er niemanden ausmachen.
Im Zug ließ er noch einmal sein Gespräch mit Marcus Revue passieren. Angenommen, Lenka hatte die Wahrheit gesagt und nicht einfach versucht, Marcus Sand in die Augen zu streuen, so waren seine Schlussfolgerungen zwingend. Sie hatte gesagt, Duncan hätte Alex von Bord gestoßen, aber Alex sei anders gestorben. Alex war es gut gegangen, bevor Duncan ihn geschlagen hatte. Also musste er infolge von Ereignissen ums Leben gekommen sein, die hinterher eingetreten waren.
Jemand hatte ihn ertränkt. Und dieser Jemand musste einer der drei Leute gewesen sein, die hinter ihm hergesprungen waren. Eric, Ian oder Duncan. Einer von Chris’ Freunden. Jemand, den er seit zehn Jahren kannte.
Doch wer von ihnen?
Duncan war zu dem Zeitpunkt schon zu hinüber, um noch etwas anstellen zu können. Eric war denkbar. Doch am wahrscheinlichsten erschien ihm Ian. Zunächst einmal war er am längsten im Wasser gewesen. Dann hatte er die engste Beziehung zu Lenka gehabt, als sie starb. Aus seinen E-Mails an sie ging hervor, dass Ian Probleme mit Lenka gehabt hatte, bevor sie umgebracht wurde. Oder vielmehr hatte sie Probleme mit ihm gehabt. Ian wusste, dass Lenka in Kontakt mit Marcus stand, er wusste, dass sie vorhatte, Alex’ Bruder etwas zu erzählen, und er wollte sie daran hindern.
Vielleicht hatte er Angst gehabt, sie werde Marcus erzählen, dass er, Ian, Alex vor zehn Jahren ertränkt hatte. Deshalb war er nach Prag gefahren, um sie zum Schweigen zu bringen. Oder hatte jemanden bezahlt, der es für ihn erledigt hatte.
Der Gedanke machte Chris krank. Doch wie er die Sache auch betrachtete, es war die einzige Interpretation, die einen Sinn ergab.
Es war schon dunkel, als der Zug in den Bahnhof von Cambridge einfuhr. Chris nahm ein Taxi zu Megans College. Seine Stimmung hob sich, als er durch die alten Collegetore in den ruhigen First Court trat und an der wuchernden Platane vor ihrem Gebäude vorbeikam. Er blickte empor: In ihren Zimmern brannte Licht.
»Wie schön, dich zu sehen!«, sagte Megan, als sie ihm die Tür öffnete. Bevor er eine Möglichkeit fand, etwas zu sagen, gab sie ihm einen langen, liebevollen Kuss. Er hielt sie im Arm, und fand es ebenfalls schön, sie zu sehen.
»Du siehst völlig erschöpft aus«, sagte sie. »Hast du im Flugzeug geschlafen?«
»Nein. Schlaf ist augenblicklich Mangelware bei mir.«
»Komm her.« Megan führte Chris zum Sofa, drückte ihn hinein und schmiegte sich eng an ihn. Chris gefiel ihr Zimmer. Es hatte weiße Wände und große Fenster, die auf den Hof hinausgingen. In die Decke waren schwarz gestrichene Balken eingelassen. Sie hatte sich nach Kräften bemüht, die wenigen Besitztümer, die sie mit nach England hatte nehmen können, im Zimmer zu verteilen. Auf dem Kaminsims standen zwei Fotos: das eine von Megans Eltern, die auf der Veranda eines Holzhauses saßen, und ein zweites, auf dem eine sehr viel jüngere Megan im Gras neben ihrer Großmutter lag und einen übergewichtigen Basset knuddelte. Gerahmte Plakate von lange zurückliegenden Ausstellungen hingen an den Wänden. Nebenan war ein winziges Schlafzimmer mit einem Einzelbett. Schmal,
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