Das Programm
Augenblick, als sie sich näherten, kam der Mond hinter der Wolke hervor. Es war Ian. Seine Bewegungen waren kraftlos, aber er hielt sich noch über Wasser. Als sie ihm den Ring zuwarfen, war er kaum noch in der Lage, die wenigen Meter zurückzulegen, um ihn zu ergreifen. Chris und Lenka zogen ihn an Bord. Er war völlig erschöpft.
»Ich hab gesehen, wie ihr Eric rausgefischt habt«, keuchte er. »Ich hab gewunken und geschrien, aber ihr habt mich nicht bemerkt.«
»Na, jetzt haben wir dich ja«, sagte Chris.
Mit wachsender Verzweiflung setzten sie die Suche fort. Keine Spur von Alex. Ungefähr zehn Minuten nach Erics Notruf hielt ein schnelles Polizeiboot auf sie zu. Nachdem die Beamten sich kurz über die Situation unterrichtet hatten, forderten sie Megan auf, in den Hafen zurückzukehren, damit die anderen sich aufwärmen und etwas Trockenes anziehen konnten. Megan wollte sich weigern und die Suche fortsetzen, aber die Polizisten bestanden darauf. Sie sagten, in Oyster Bay würde ein Notarztwagen auf sie warten.
Ian und Eric zogen sich ihre trockenen Sachen an, die noch in der Kabine lagen. Duncan weigerte sich. Stumm drängten sie sich auf der Brücke zusammen, während Megan auf die Küste zuhielt. Nachdem die hektische Suche vorbei war, hatten alle nur noch einen einzigen Gedanken. Alex war tot.
Duncan hockte tropfend vor Nässe auf dem Fußboden der Brücke. Neben ihm hatte Lenka das Gesicht in beide Hände vergraben. Ian starrte erschöpft ins Leere. Chris war wie betäubt, er konnte einfach nicht glauben, was er in der letzten halben Stunde erlebt hatte. Das alles war ein schreckliches Missgeschick. Es musste doch möglich sein, Alex wiederzufinden, es musste einfach. Jetzt, wo die Küstenwache da war, die Behördenvertreter, die Erwachsenen, würde man ihn finden. Chris wollte nicht glauben, dass er selbst ein Erwachsener war, dass das hier kein Spiel war, welches die Erwachsenen wieder in Ordnung bringen konnten, dass er Zeuge gewesen war, wie ein Mann einen anderen ins Meer geprügelt hatte, und dass dieser andere, ein Freund, jetzt wahrscheinlich tot war.
»Sie werden fragen, wie Alex ins Wasser gefallen ist«, sagte Eric.
»Ich werde es ihnen sagen«, schluchzte Duncan. »Ich werde sagen, dass ich ihn geschlagen habe.«
»Nein, es war meine Schuld«, sagte Lenka. »Ich habe dich provoziert. Ich wollte, dass du wütend auf mich bist. Und auf ihn.«
Duncan schüttelte den Kopf. »Ich hab ihn umgebracht«, sagte Duncan. »Ich hab ihn umgebracht.«
»Vielleicht finden sie ihn ja noch«, meinte Chris schwach. Niemand glaubte daran. Auch er selbst nicht.
»Das könnte sehr ernste Folgen für Duncan haben«, sagte Eric.
»Ich weiß«, sagte Duncan. »Es geschieht mir ganz recht.«
»Das finde ich nicht«, sagte Eric. »Man hat dich provoziert, und du wolltest ihn nicht umbringen.«
»Ich habe gesagt, es war meine Schuld!«, sagte Lenka. »Und das werde ich auch der Polizei sagen.«
Chris begriff, worauf Eric hinauswollte. »Es gibt keinen Grund, dass irgendjemand von uns Probleme kriegt. Wir wissen alle, dass es ein Unfall war. Wir brauchen also nur zu sagen, dass Alex betrunken war und über Bord gegangen ist.«
»Aber ich habe ihn geschlagen«, sagte Duncan.
»Du weißt das und ich weiß das«, sagte Chris. »Aber wir wissen auch alle, dass du ihn nicht umbringen wolltest. Du bist, aus welchen Gründen auch immer, provoziert worden. Doch wenn wir das alles der Polizei erzählen, dann wirst du wegen Totschlags, Mord oder was weiß ich verhaftet.«
»Er könnte wegen Mord zweiten Grades angeklagt werden«, sagte Eric. »Egal, wie die Anklage lauten würde, sie wäre ziemlich schwerwiegend.«
»Ich begreif überhaupt nicht, wie ihr so reden könnt«, sagte Duncan. »Alex ist tot! Versteht ihr? Tot!«
Lenka hörte auf zu weinen. Sie rückte näher an Duncan heran. »Alex ist vielleicht tot. Aber Chris und Eric haben Recht. Es könnte dir dein ganzes Leben ruinieren.« Sie berührte ihn am Arm. »Dafür möchte ich nicht verantwortlich sein.«
Eine Zeitlang saßen sie stumm auf der überfüllten Brücke.
Eric sprach als erster. »Was meint ihr dazu? Wir müssen uns jetzt entscheiden. Chris?«
»Ich sage, dass es ein Unfall war. Alex befand sich auf dem Vordeck. Er wollte sich ein neues Bier holen, rutschte aus und ging über Bord.«
»Lenka?«
»Ich sage das Gleiche.«
»Duncan? Es geht um dein Leben.«
»Es war Alex’ Leben.«
»Ja, aber jetzt reden wir von dir.«
Er biss sich auf
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