Das Programm
empor, durchquerten rasch den trügerisch friedlichen Empfangsbereich und betraten einen der größten Handelssäle Europas. Chris versuchte, unverwandt geradeaus zu blicken, während er Ian folgte, der sich zwischen den Schreibtischen hindurchschlängelte, trotzdem bemerkte er natürlich die Hektik, die sich rund um ihn her entfaltete. Die vertrauten Rufe, Flüche, Bildschirme und Papiere. Vor allem die Papiere. Sie waren einfach überall. Ein paar Gesichter kannte er noch, die meisten waren neu. Investmentbanken haben eine hohe Fluktuationsrate; Händler kommen und gehen. An seinem ehemaligen Schreibtisch sah er einen jungen Mann, der kaum wie zwanzig aussah. Er lümmelte sich im Stuhl und hatte den Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter geklemmt. Am anderen Ende des Raums erblickte er Herbie Exler. Ihre Blicke trafen sich. Eine plötzliche Wut packte ihn, und etwas verblüfft registrierte er den Wunsch, über die Schreibtische zu springen, den kleinen Amerikaner zu packen und seinen Kopf in einen der Monitore zu rammen.
»Komm weiter!«, sagte Ian. »Mach hier kein Aufsehen. Sehen wir zu, dass wir’s hinter uns bringen.« Er führte ihn zu einem Konferenzraum in einer Ecke des großen Saals.
»Das ist Barry«, sagte Ian. Mit diesen Worten stellte er Chris einen hageren Mann mit rasiertem Kopf vor, der auf einen Computerschirm starrte. »Hier hat sich seit deiner Zeit einiges verändert. Alle Gespräche werden jetzt digital auf einer Festplatte aufgezeichnet. Barry muss sich alles anhören, was gesagt wird, aber keine Sorge, er muss das alles streng vertraulich behandeln. Stimmt doch, Barry, oder?«
Ian ließ in diese letzten Worte eine kaum verhüllte Drohung einfließen.
Barry schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. »Stimmt genau, Ian«, sagte er fröhlich.
Ian musste ein Formular unterschreiben und fütterte den Rechner dann mit ein paar Befehlen. Barry und Ian setzten Kopfhörer auf und ließen die Aufzeichnungen vor- und zurücklaufen, bis sie das Gespräch gefunden hatten. Dagegen war nichts einzuwenden. Ian durfte ihm natürlich keine Gespräche mit anderen Kunden vorspielen.
Nach ungefähr fünf Minuten, in denen Chris unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte, hob Ian die Hand und sagte: »Ich glaub, das ist es.«
»Okay«, sagte Chris. »Hören wir es uns an. Aber ich möchte das ganze Gespräch hören, klar?«
»Okay, okay«, sagte Ian. Er nahm den Kopfhörer ab und betätigte einen Schalter. Im Konferenzzimmer ertönte Lenkas Stimme. Rasch dreht Ian die Lautstärke herunter und vergewisserte sich, dass die Tür geschlossen war.
»Hi, Süßer, wie geht’s dir?«
Süßer! Sie nannte ihn »Süßer«. Zum ersten Mal wurde Chris klar, dass es nicht ganz leicht sein würde, was er sich da vorgenommen hatte. Lenka hatte unbekümmert mit Ian reden können, ohne Angst haben zu müssen, dass jemand mithörte. Chris war im Urlaub, und Ollie und Tina waren zu weit weg oder zu beschäftigt, um etwas mitzubekommen.
»Gut«, hörte man Ian in seiner gedehnten Sprechweise. »Ich fühl mich sogar ziemlich gut.«
»Nach der letzten Nacht. Ich staune, dass du es überhaupt bis an deinen Schreibtisch geschafft hast«, sagte Lenka mit dem verruchten Lachen, das Chris so gut kannte. Er warf Ian einen raschen Blick zu.
Ian zuckte die Achseln. Barry starrte unverwandt auf den Monitor. Obwohl Ian versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, war ihm die Sache offensichtlich peinlich. »Du wolltest es so«, sagte er.
Das stimmte. Chris atmete tief durch und lauschte weiter.
»Ich bin zäher, als du glaubst«, sagte Ian im Lautsprecher.
Gequält blickte Chris zur Decke.
Ian nahm keine Notiz davon, aber auf dem Band sagte er: »Hast du über Eureka Telecom nachgedacht?«
»Ja. Ich denke, ich nehme fünfundzwanzig. Geht das?«
»Du kriegst alles, was du willst«, sagte Ian.
»Nein, im Ernst. Habe ich Aussichten auf eine so große Position?«
»Ja, das Geschäft läuft nicht sehr gut.«
»Was ist mit der Übernahme?«
Chris richtete sich überrascht auf. Ian registrierte Chris’ Reaktion.
»Davon weiß noch niemand was.«
»Aber es liegt doch nahe, oder?«
»Ich denke schon«, sagte Ian. »Radaphone muss sein mitteleuropäisches Netz ausbauen. Eureka hat alle notwendigen Lizenzen. Also braucht Radaphone sie nur noch aufzukaufen.«
»Und dann habe ich zwölf Prozent Rendite mit dem Kreditrisiko von Radaphone.«
»Genau.«
»Und du bist sicher, dass die Übernahme stattfindet?«
»Ich habe die
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