Das Prometheus Mosaik - Thriller
suchte Döberin – vergeblich, wie es zu erwarten gewesen war. Auch sie kannte die Döberinschen Abgänge längst und wusste, dass sie am Ende einer Vorlesung stets in dieser Form erfolgten: Als seien seine jeweils letzten – und immer gleichen – Worte ein verklausuliertes Abrakadabra, war der Professor von einem Augenblick auf den anderen einfach fort, wie weggezaubert. Natürlich bestand kein Zweifel daran, dass er lediglich schattenhaft und schnell durch die Tür nach hinten huschte und sie lautlos schloss; dennoch, der leicht unheimliche Eindruck blieb, gestärkt vielleicht von dem Gerücht, Döberin kenne Türen und Wege in diesem altehrwürdigen Hauptgebäude der Universität, die sonst keiner kannte. Nur eines von vielen Gerüchten, die über Professor Döberin kursierten – und noch nicht einmal das merkwürdigste.
»Außerdem würde er sich eh nicht an so einer Bemerkung stoßen«, meinte Andrea, während sie sich als Letzte auf den Weg zum Ausgang des Saales machten.
»Das stimmt wohl«, sagte Fio. »Andere machen sich noch viel mehr über ihn lustig.« Sie spürte fast etwas wie einen Anflug von Mitleid für den Professor, der ihr doch ebenso fremd war wie vermutlich den allermeisten anderen Menschen.
»Nicht einmal das würde ihn stören, wenn er es wüsste. Glaub mir.«
Fio nickte. »Ja, da hast du sicher recht. Weil ihn …«
»… schlicht und ergreifend …«, warf Andrea in aufgesetzt belehrendem Ton Döberins liebste Redensart ein und grinste dabei auf eine Weise, die Fio viel über das kleine Mädchen verriet, das ihre Freundin einmal gewesen sein musste.
»Weil ihn schlicht und ergreifend‹«, wiederholte Fio, »nichts interessiert, was vor und nach seinen Vorlesungen geschieht.«
Tatsächlich war es so, als trete Döberin, kaum dass er zu Ende referiert hatte, aus der Realität heraus und in seine eigene hinein. In dieses Bild, das Fios immer schon lebhafte, weil von Kindesbeinen an geförderte Fantasie zeichnete, passte auch der Umstand, dass Döberin außerhalb des Hörsaals so gut wie unsichtbar war. Er lief einem kaum einmal über den Weg, und wenn doch, war er zu schnell wieder weg, um ihn auch nur grüßen zu können. Worauf er ohnedies wohl keinen Wert legte.
Fio seufzte. »Ein komischer Kauz ist er schon.«
Neben Andrea ging sie ohne besondere Eile zur Tür, den Blick noch dorthin gerichtet, wo Döberin abgetreten war. Peter Mratschek, ein Kommilitone, hielt ihnen die Tür lächelnd auf und erwartete von den beiden jungen Frauen wohl mehr als nur ein dankendes Nicken. Beide waren sie jedoch zu sehr in ihr Gespräch über Döberin vertieft. Freilich redeten sie nicht zum ersten Mal über ihn. Schließlich war er ein Mensch, über den es immer wieder etwas zu sagen gab. Paradox eigentlich, weil sie doch so gut wie nichts über ihn wussten.
»Und ein Gott ist er«, meinte Andrea.
Fio zuckte unwillkürlich zusammen.
»Tut mir leid«, murmelte Andrea. »Entschuldige.«
Sie beide kannten sich erst seit dem vorigen Herbst, seit Beginn ihres Studiums. Doch konnte Andrea in dieser kurzen Zeit nicht entgangen sein, dass Fio bei bestimmten Themen und auf gewisse Bemerkungen fast allergisch reagierte: Bemerkungen über Gott beispielsweise, die einen Menschen mit ihm gleichstellten.
Sie winkte ab. »Ist schon gut. Ich muss mich endlich daran gewöhnen, in der Welt draußen zu sein, wo jeder sagen und denken darf, was er will.«
»War das bei euch nicht so?«, wollte Andrea wissen. Ihre Schritte und Stimmen hallten wie die Geräusche Dutzender anderer Studenten von den alten Mauern wider und erzeugten die Illusion, sie wären zu Hunderten. »Hattest du ein Schweigegelübde abgelegt? Gab es in deinem Stift ein Denkverbot?«
Andrea meinte es nicht böse. Fio wusste und verstand, wie sie es meinte – Andrea war schlicht und ergreifend neugierig. Weil sie ein Leben, wie Fio es geführt hatte, und eine Welt wie die, in der Fio aufgewachsen war, nicht kannte. Und wäre sie nicht neugierig gewesen, darauf und auf alles Mögliche und scheinbar Unmögliche, hätte sie mit Genetik sicher das falsche Studienfach gewählt. Trotzdem, ein bisschen müde war Fio es schon, immerzu wiederholen zu müssen, was sie bereits etliche Male erklärt hatte.
»Das war nicht mein Stift, und es ging da auch nicht zu wie in einer Klosterschule des Mittelalters.«
Für mich jedenfalls nicht, setzte sie im Stillen hinzu und fuhr dann fort: »Ich bin zwar unter Nonnen groß geworden, aber ich selbst war keine
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