Das Prometheus Mosaik - Thriller
von Furcht zu bezwingen. Oder war es etwa Erregung, die sie schaudern ließ?
Sie wollte jedenfalls sehen, was Döberin ihr anzubieten hatte: zunächst nur einen Schlüssel. Für eine Tür allerdings, von der sie bisher nichts gewusst hatte.
***
B ERLIN , F RIEDRICHSHAIN -K REUZBERG , AM A BEND
»Raus hier!«, zischte Paul Finn mit solchem Nachdruck, als wüsste er, dass hier im Kaiser-Eck gleich eine Bombe hochgehen würde. Ein Gedanke, der in seinem Fall gar nicht so weit hergeholt war. Denn Paul Finn wusste vieles, wovon andere Menschen nichts ahnten.
»Was ist denn?«, fragte Sara Schaffer, strich sich eine widerspenstige rote Locke hinters dreifach gepiercte Ohr und warf ihm einen halb erstaunten, halb alarmierten Blick zu.
Seine Augen waren einen Moment lang nicht die eines großen Jungen, wie Paul ihr oft erschien, sondern die eines Mannes, der mehr als nur erwachsen war. Die Linien in seinem schmalen Gesicht, für gewöhnlich fast unsichtbar, waren mit einem Mal ganz deutlich zu sehen, wie von Kummer in langer Zeit hineingegraben.
»Glaub mir.« Sein Ton hatte etwas Beschwörendes und zugleich auch unsagbar Ruhiges.
Weil sie Paul Finn inzwischen zwar nicht wirklich gut, immerhin aber gut genug kannte, stellte Sara keine weiteren Fragen. Sie stellte ihr halb ausgetrunkenes Schultheiss auf die Theke, klemmte sich die angebissene Bulette zwischen die Zähne und folgte Paul auf dessen heimliches Zeichen hin durch den Lieferanteneingang nach draußen. Der Schritt aus dem Kneipenmief hinaus tat gut. Das Gefühl verflog jedoch in der nächsten Sekunde.
»Meine Güte, hier stinkt’s ja zum Himmel«, stöhnte Sara, als sie den überquellenden Müllcontainer passierten, der jeden Hygiene-Inspektor zu Tränen gerührt hätte. Angewidert spuckte Sara ihre Bulette auf den Berg aus matschigen Kartons, Küchenabfällen, faulem Obst, verschimmeltem Brot und weiß Gott was noch. Und irgendwo unter dem ganzen Zeug bewegte sich etwas …
Paul scheuchte Sara hektisch um die Ecke, wo ihr BMW parkte. Während sie die Beifahrertür aufschloss – Zentralverriegelung hatte es, als das Schätzchen vom Band gerollt war, noch nicht gegeben –, blickte Paul gehetzt und misstrauisch wie ein Spion in einem Film voller Klischees nach links und rechts die von Bäumen gesäumte Straße entlang.
»Was hast du denn überhaupt?«, wollte Sara wissen.
»Jemand hat mich erkannt«, antwortete er. »Und er wollte mich verraten.«
Dabei tippte er sich vielsagend gegen die Nase. Sara deutete die Geste zwar richtig, wusste allerdings auch, dass Pauls guter Riecher für allerlei Dinge nicht wirklich etwas mit seiner Nase zu tun hatte. So gut hatte sie ihn immerhin in der kurzen Zeit seit ihrer ersten Begegnung und der Rettung des entführten Jungen schon kennengelernt. Was wiederum nicht hieß, dass sie auch verstand, was mit Paul Finn los war. Wie auch? Er verstand es ja selbst nicht – behauptete er jedenfalls …
Auch während der Fahrt hörte Paul nicht auf, sich in einer Tour nach hinten umzudrehen. Seine Nervosität und die Befürchtung, verfolgt zu werden, schienen ansteckend zu sein. Auch Sara ertappte sich dabei, häufiger als sonst in den Rückspiegel zu blicken. Nur folgte einem in einer Stadt wie Berlin schließlich immer irgendein Fahrzeug, und manchmal eben auch über mehrere Kreuzungen hinweg.
»Da ist niemand«, versuchte sie Paul zu beruhigen, mit überschaubarem Erfolg. Er wandte sich jetzt zwar nicht mehr dauernd auf dem Beifahrersitz um, dafür fixierte sein Blick abwechselnd mal den Innen-, mal den Außenspiegel.
Sara begann daran zu zweifeln, ob es überhaupt einen Grund für ihren überstürzten Aufbruch aus dem Kaiser-Eck gegeben hatte. Mehr und mehr gewann sie nämlich den Eindruck, dass Paul nicht nur hellseherische Anwandlungen hatte, sondern auch unter Verfolgungswahn litt.
Zugegeben, er hatte durchaus Grund, sich verfolgt zu fühlen. Zeitungen und Fernsehen wollten Interviews mit dem Mann führen, der sie, die Privatdetektivin Sara Schaffer, zum Versteck des gekidnappten Jungen geführt hatte. Aber sie lauerten wahrhaftig nicht überall auf ihn; nicht jeder, der ihn aufgrund des einen Fotos erkannte, das man von ihm geschossen und veröffentlicht hatte, griff gleich zum Handy, um einen Reporter zu informieren. Genau das schien Paul eben in der Kneipe angenommen zu haben. Und dieser Argwohn grenzte in Saras Augen allmählich an Paranoia. Dass er selbst jetzt noch, da sie seit fast zehn Minuten im Auto
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