Das Prometheus Mosaik - Thriller
getragen, sie waren nie zusammen schwimmen gewesen, geschweige denn, dass sie miteinander gebadet hätten.
Wir waren einander nicht wirklich nahe, brachten Theos Gedanken das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter wie von selbst auf den Punkt. Er konnte es nicht leugnen: Körperliche Nähe und Wärme hatte er von Katharina nie erfahren. Allein der Umstand, dass er sie in Gedanken bisweilen »Katharina« und nicht »Mutter« oder gar »Mama« nannte, sprach im Grunde genommen doch Bände …
Doktor Meisner nutzte den Vorraum der Kühlkammer als Büro; zwar gab es hier unten viele Räume, die wenigsten wurden jedoch für Krankenhauszwecke genutzt und befanden sich – aus Gründen des Denkmalschutzes – noch in ihrem ursprünglichen Zustand. Dass sich abgesehen vom bloßen Erhalt dieses Zustands niemand wirklich für diese Örtlichkeiten interessierte, stand dabei auf einem anderen Blatt.
Meisners Büro spiegelte auf gewisse Weise ihr strubbeliges Haar wider – eine ordnende Hand fehlte hier ganz offensichtlich. Vielleicht musste sie ja in ihrer praktischen Arbeit so viel Präzision walten lassen, dass sie sich, wenn es um den Papierkram ging, eine gewisse Laxheit erlaubte, um ihr inneres Gleichgewicht zu halten.
Der Bericht mit dem Vermerk »Obduktion Katharina Lassing« lag dennoch genau an der Stelle ihres Schreibtischs, die sie Theo am Telefon bezeichnet hatte, sollte er sich dafür interessieren. Das tat er, allerdings brauchte er den Blick nur flüchtig darüber streifen zu lassen, um alles bestätigt zu finden, was Meisner ihm vorab gesagt hatte: Es gab keine Spuren dafür, dass ein Dritter am Tod seiner Mutter schuld sein könnte; als Todesursache waren massive und nicht zu stoppende innere Blutungen sowie ein schweres Schädel-Hirn-Trauma angegeben. So gesehen kam es schon einem kleinen Wunder gleich, dass Katharina überhaupt lebend den OP erreicht hatte.
Theo legte den Bericht beiseite, wandte sich der Tür zum Kühlraum zu und öffnete sie. Schmatzend lösten sich Dichtungsgummis vom Metall. Der scharfe Geruch von Desinfektionsmitteln barst Theo entgegen. Seine Hand wollte nach einem Lichtschalter tasten, aber die Neonröhren unter der Decke brannten bereits. Meisner musste vergessen haben, das Licht auszumachen. Oder sie hatte es absichtlich angelassen, damit er nicht ins Dunkle treten musste, um zu seiner Mutter zu gelangen.
Hätten frostige Naturen schon in Meisners Büro mit den Zähnen geklappert, fröstelte hier nun selbst Theo, der auch im Winter nur selten einen Mantel trug. Die Kühlaggregate erzeugten im Verein mit der Kälte, die dem unterirdischen Mauerwerk entströmte, eine gefühlte Temperatur, die nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen konnte.
Doch Theo fror nicht nur deswegen.
Zwei der vier Wände des Raumes wurden von Kühlfächern mit Frontpartien aus rostfreiem Stahl vereinnahmt. Eines dieser Fächer stand offen, die Rollbahre war ausgefahren, der Leichnam darauf nackt und nicht von Kopf bis Fuß zugedeckt, wie es Usus war. Das Laken lag am Boden und bildete eine schneeweiße Berg-und-Tal-Landschaft.
Doch selbst das war es nicht, nicht allein wenigstens, was Theo frieren ließ.
Seine Mutter lag vor ihm, wie sie es am Morgen im OP getan hatte. Auch hier blickte er auf ihre linke Körperseite.
Dennoch war jetzt etwas anders als heute früh.
Die Tätowierung war nicht mehr da.
Nicht etwa so, als hätte Theo sich am Morgen getäuscht. Das in jeder Hinsicht merkwürdige Tattoo war buchstäblich nicht mehr da.
Ein erstickter Laut entfuhr Theos Mund und erschreckte ihn selbst.
Die Tätowierung war … ausradiert worden.
Theo tat einen Schritt in Richtung seiner Mutter.
Jemand hatte seiner Mutter das Stück Haut, in das sie sich irgendwann Tinte hatte stechen lassen, verätzt. Jetzt erst nahm er, wie eingewoben in den Desinfektionsgeruch des Raumes, auch den beißenden Gestank von Säure wahr.
Theo beugte sich vor, wollte sich die feucht schimmernde, rote Verätzung genauer ansehen – und erstarrte wie schockgefrostet.
Weil schlagartig das Licht verlosch.
***
Irgendwo, nicht weit entfernt, ging eine Tür, das Geräusch vom dicken Mauerwerk fast verschluckt. Und Theo hörte Schritte – die sich näherten oder leiser wurden? Sie verstummten, hatten sich demnach entfernt. Oder war die Person stehen geblieben?
»Wer ist da?«, rief Theo.
Vielleicht doch die Meisner? Oder ein Kollege?
Er erfuhr es nicht. Keine Antwort.
Theos Hand tastete automatisch nach der
Weitere Kostenlose Bücher