Das Prometheus Projekt
Türspalt kroch der Geruch von Blut. Eve presste den Kopf auf den Dielenboden und blickte unter dem Türspalt hindurch. Sie schrie. Auf der Veranda lag der Kopf eines Mannes wie eine Jagdtrophäe. Angewidert wich sie vor Adams Opfergabe zurück.
Vom Dach erklang ein Poltern. Adrian hatte auch im Obergeschoss die Fensterläden verriegelt, aber er hatte etwas vergessen, etwas sehr Wichtiges. Doch der Gedanke kostete sie zuviel Kraft. Eve verlor wieder das Bewusstsein.
Nach einer Weile kam sie wieder zu sich. Sie lag halb auf dem Bauch, einen Arm unter sich begraben, so wie sie hingefallen war. Ihre Stirn glühte im Fieber, ihre Glieder waren eiskalt und troffen von Schweiß. Die Klappe! Die Klappe im Dach!
Mit einer letzten Anstrengung gelang es ihr, den Kopf zu heben. Sie sah seine Füße. Adams Füße. Sie schienen das ganze Universum auszufüllen. Gebogene, hornartige Krallen, die in messerscharfen Spitzen ausliefen – geschaffen, um Beute aufzureißen, um zu jagen und zu töten. Dort, wo sich die menschliche Ferse befindet, war ein zweites Sprunggelenk gewachsen und bildete mit kräftigen Muskeln und Sehnen eine Sprungfeder, die diesem Monstrum eine unvorstellbare Kraft verlieh. Eve wollte schreien, aber aus ihrer trockenen Kehle kam nur ein Krächzen.
Seine Füße passten in keine Stiefel mehr. Die Hose war zerfetzt und verdreckt und hing in Streifen an ihm herunter. Am schlimmsten waren seine Hände. Diese Raubtierklauen konnten niemanden mehr streicheln. Sie dienten nur einem Zweck: Dem Töten.
Eve schaffte es, ein kleines Stück von ihm wegzukriechen, obwohl das keinen Unterschied machte. Sie konzentrierte all ihre verbliebene Energie auf einen Gedanken: „Geh weg, geh weg, geh weg!“
Adam brüllte auf wie ein gemartertes Tier. Er konnte ihre Angst und ihren Ekel beinahe riechen. Hass und Zorn überschwemmten ihn wie eine Springflut. Seine Wut steigerte sich zur Raserei, und er begann alles zu zerstören, was in die Reichweite seiner fürchterlichen Hände geriet. Eve kroch mit letzter Kraft in eine Ecke hinter dem Kamin und verbarg sich zitternd in der Dunkelheit. Adam tobte, bis er das Buch fand: ein schmales, braunes Heft in einer vergilbten, durchsichtigen Schutzhülle.
Die Seiten waren abgegriffen und zerfleddert und mit kindlichen Kritzeleien bedeckt. Es war das Malbuch eines Kindes. Die schwarzen Konturen der Malvorlagen waren mit bunten Farbflächen gefüllt, Wasserfarbe, Buntstifte, dicke Schichten aus Wachsmalkreide, ein Papagei auf der Schulter eines Seemanns, der bauchige Wagen der Straßenreinigung, ein frech grinsender Affe, der sich von Ast zu Ast schwang.
Adam erstarrte und bohrte mit seinen Klauen Löcher in die Seiten. Eine Flut von Bildern rauschte in seinem Kopf vorbei. Als er die Hand flach auf eine Seite des Malbuchs legte, explodierte die Bilderflut in seinem Inneren und überfluteten ihn wie eine eiskalte Woge.
Erschrocken ließ er das Heft fallen und wankte. Die Flut verschwand augenblicklich, aber sie war noch da, abgespeichert in einem Winkel des elektronischen Gehirns in seinem Kopf. Adam wagte nicht, die Bilder erneut abzurufen, obwohl sie in keiner Weise Furcht einflößend waren. Sie zeigten einen Jungen mit blonden Haaren und wässrig blauen Augen von sieben Jahren. Er hüpfte ausgelassen über die heißen Holzbohlen der Veranda vor dem Blockhaus. Jemand spritzte ihn aus dem See heraus nass, ein Mädchen im gleichen Alter mit braunen Haaren und dunklen Augen, die schelmisch glitzerten. Der Junge kreischte fröhlich, nahm Anlauf und sprang dann in den herrlich kühlen See.
Adam kehrte in die Wirklichkeit zurück. Er bückte sich, hob das Malbuch auf und steckte es unter die Reste des T-Shirts. Seine Krallenfinger klickten nervös aneinander, als er sich Eve näherte.
Eve drückte sich an die warmen Steinplatten des Kamins. Ihre Augenlider flatterten unruhig. Ihr Blick hatte sich vollständig nach innen gerichtet und verkroch sich in den Erinnerungen an Adrian. Bald würde es vorbei sein.
33 Adam
33
Adam
Nur eine Stunde später humpelte Brad Wilson durch das Chaos in dem abgelegenen Blockhaus und suchte ein Ventil für seine Wut. Blindlings griff er nach dem eisernen Schürhaken neben dem Kamin und schlug auf alles ein, was in seine Reichweite gelangte. Er zertrümmerte die Bilder und gerahmten Fotos an den Wänden, schlug auf Vasen, Gläser und Geschirr ein, bis er mit einer letzten Anstrengung den Schürhaken in die Asche des Kaminfeuers warf und
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