Das Prometheus Projekt
in eine geschlossene psychiatrische Abteilung stecken, mit seiner Schwiegermutter als behandelnde Ärztin. Aber Adrians würde keine Ruhe finden, wenn er nicht die wichtigste Frage dieses Rätsels beantworten konnte: War Christina Sykes am 16. September 2006 an einem allergischen Schock gestorben oder lebte sie? Und es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
Er steuerte den Geländewagen vom Hof der Burg. Nach dem seltsamen Intermezzo des scheidenden Sommers zog nun endgültig der Herbst heran. Nebelschwaden waberten in der feuchtkalten Luft und legten sich schwer über das Land.
Nach zehn Minuten gelangte er an die Abzweigung, von der aus die schmale Straße in engen Serpentinen den Berg hinaufführte. Dort oben stand die Kirche des Klosters Marienau, von dem außer dem Gotteshaus nur kümmerliche Mauerreste die Jahrhunderte überlebt hatten - und hinter der Kirche lag der Friedhof, auf dem Christina begraben worden war.
Adrian bog auf den Parkplatz ein und fuhr langsam an der niedrigen Bruchsteinmauer entlang, die den Friedhof umspannte. Nach wenigen Metern endete der geteerte Parkplatz und mündete in einen schlammigen Feldweg, der an der Längsseitedes Friedhofes vorbei zu den Feldern dahinter führte.
Er stellte den Wagen im Schatten einer Kiefer ab, deren Zweige tief hinabreichten und den Geländewagen vor neugierigen Augen verbargen. Zu dieser späten Stunde war der Friedhof menschenleer. Eine dichte Ligusterhecke grenzte die Kirche und das dahinter liegende Pfarrhaus vom Friedhof ab. Aus keinem der Fenster drang ein Lichtschein. Sicher war der Pastor längst schlafen gegangen.
Er ging um den Wagen herum und öffnete die Heckklappe. Die automatische Entriegelung hallte wie ein Pistolenschuss durch die Nacht. Sein Magen rebellierte, als er nach dem Stoffbeutel griff, in dem er ein Stemmeisen und weitere Werkzeuge mitgebracht hatte, in einen weichen Lappen gewickelt, um Lärm zu vermeiden. Adrian hatte der Versuchung widerstanden, sich mit Alkohol zu betäuben. Es hing vom Ausgang dieses Vorhabens ab, ob er ins Leben zurückkehrte, und dazu musste er nüchtern sein. Zu Tode saufen konnte er sich anschließend immer noch.
Im Schatten der Hecke schwang er sich über die Friedhofsmauer. Mit schnellen Schritten legte er die fünfzig Meter zurück, die ihn von der Familiengruft der von Alsbachs trennten. Als er zum ersten Mal von Christina erfahren hatte, dass ihre Familie auf dem Friedhof des ehemaligen Klosters eine eigene Gruft besaß, war ihm das wie eine morbide Reise in die Vergangenheit erschienen. Das Geschlecht von Alsbach reichte zurück bis ins Gründungsjahr des Klosters. Christinas Vater war sein Leben lang stolz auf die adlige Abstammung gewesen, obwohl es sich bei seinen Vorfahren bei näherer Betrachtung nur um eine Bande von Raubritterngehandelt hatte. Heute Nacht war Adrian erleichtert über ihre Familiengeschichte. Einen Sarg unentdeckt aus der Erde zu graben, wäre sehr viel schwieriger, wenn nicht gar unmöglich gewesen.
Schweratmend stand er vor dem Eingang zur Gruft. Der Friedhof lag da wie die Szenerie eines Horrorfilms: In der Dunkelheit glommen rote Grablichter auf, die einsame Laterne über dem Parkplatz warf trüben Lichtschein über den Totenacker. Faserige Nebelschwaden schlichen wie lebendige Wesen um die Grabsteine und griffen neugierig nach Adrians Stiefeln.
Er legte leise den Beutel mit Hammer und Meißel ab und setzte den Bolzenschneider an die rostige Kette, mit der das Eisengitter verschlossen war. Die Familiengruft lag halb eingesunken in das Erdreich an der Flanke der alten Klosterkirche. Es schien, als verschwände sie jedes Jahr tiefer in der Erde, bis sie eines Tages selbst begraben war. Nur der obere Teil mit seinen harten, kantigen Basaltsteinen ragte aus dem Boden. Zwei verwitterte Engelfiguren hielten zu beiden Seiten des Eingangs Wache.
Entschlossen drückte Adrian die beiden Hebel des Bolzenschneiders zusammen. Das Kettenglied gab mit einem leisen Knacken nach. Vorsichtig fing er die lose Kette auf und zog sie durch das Eisengitter. Dann öffnete er das Gitter einen Spalt und schlüpfte hindurch. Erst jetzt, im Schatten der mit Moos bewachsenen Wände der Gruft, wagte er die Taschenlampe anzuschalten. Sein Herz schlug bis in die Schläfen. Er war sicher, Christinas Leiche hier nicht zu finden, aber ein letzter Rest von Zweifel blieb.
Adrian wartete, bis sich sein rasender Herzschlag beruhigthatte. Dann schritt er die sieben Sandsteinstufen hinab, bis er
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