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Das Prometheus Projekt

Das Prometheus Projekt

Titel: Das Prometheus Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker C Dützer
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ausgepumpt. Vierzig Jahre hatte er sich niemals auch nur einen Millimeter vom Pfad des Gesetzes entfernt. Das Recht war der Maßstab seines Handelns gewesen. Stets hatte er allen gepredigt, dass das Gesetz keine Ausnahme machen dürfe. Alle waren vor der blinden Justitia gleich. Diese Idee hatte sein Leben bestimmt und er hatte sich immer danach gerichtet. Warum wich er ausgerechnet jetzt von seinen ehernen Prinzipien ab und ließ Sykes laufen? Selbst wenn der Arzt in Notwehr gehandelt hatte, hätte er ihn festnehmen müssen!
    Aber Sehner kannte die Antwort, und sie hinterließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund: Seine standhafte Treue zum Gesetz hatte nicht verhindern können, dass Edith erkrankte. Wilson hatte diesen wunden Punkt erkannt und für seine Ziele benutzt. Wenn es irgendein Verbrechen gab, dass Sehnerbesonders verhasst war, dann war es Erpressung. Nichts anderes hatte der Amerikaner mit ihm gemacht. Aber Wilson hatte noch etwas viel Wertvolleres als Geld von ihm erpresst: Seine Hoffnung. Ohne dass er es bemerkt hatte, war er in eine Abhängigkeit geraten, die nur größer werden und in der Katastrophe enden würde. Er schaute auf die Uhr. Wo blieb eigentlich die angeforderte Verstärkung?
     
    In wenigen Minuten hatten sie den Rand der Schlucht erreicht. Die Hängebrücke lag einen Kilometer südlich. Bis zum See war es nicht mehr weit, aber Wilsons Männer waren ihnen dicht auf den Fersen.
    Wie Adrian vermutet hatte, fiel die Ostseite der Schlucht nach und nach flacher dem Talgrund zu. Durch Geröll und angeschwemmte Baumstämme war tief unter ihnen im Flussbett ein natürlicher Damm entstanden. Die Strömung rauschte gefährlich zwischen den Felsbrocken hindurch, aber mit ein wenig Glück und Geschick konnten sie das andere Ufer trockenen Fußes erreichen.
    Adrian löste das Seil von seinem Gürtel und band es um den kräftigen Stamm einer Buche. Eve trat vorsichtig an den Rand der Schlucht und blickte zweifelnd hinunter. An dieser Stelle fielen die Felsen fast dreißig Meter steil nach unten. Der Fluss schäumte und kochte, als schürten die Waldgeister ein Feuer unter ihm. Nördlich des Dammes schien das Wasser ziemlich tief zu sein, es war dunkel und trübe. Eve konnte den Grund nicht sehen.
    „Glaubst du, du kannst an dem Seil nach unten klettern?“, fragte Adrian.
    Eve nickte entschlossen. „Wenn du es kannst, schaffe ich dasauch.“
    Sie hatte sich verändert. Und sie veränderte sich noch immer weiter, als sei sie ein Schwamm, der alles Neue mit unglaublicher Geschwindigkeit aufsaugte. Und bei all dem war keine Spur von Pessimismus an ihr zu entdecken. Sie ging an jede neue Aufgabe voller Elan und Neugier heran.
    Adrian runzelte die Stirn. Er verscheuchte den Gedanken, der ihm gekommen war. Und doch ließ er sich nicht ganz vertreiben: Auch das war eine Eigenschaft Christinas gewesen. Aber wie konnte das sein? Es machte ihn verrückt, weil er keine Ahnung hatte, was es bedeutete, wenn man das Werkzeug, mit dem ein Mensch sein Denken und Handeln steuerte, durch ein anderes ersetzte. Vielleicht verstärkte Eves Computergehirn die Eigenschaften, die sie in ihrem früheren Leben besessen hatte, die in ihren Genen schlummerten, vielleicht existierte dieser Eindruck aber auch nur in seinem Kopf.
    „Ich gehe als erster“, sagte er. „Wir werden es schaffen!“
    „Ja!“, sagte Eve lächelnd. Adrian packte das Nylonseil und schwang sich über den Abgrund. Er konnte den zuversichtlich-kindlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht länger ertragen.
    Er stieß sich mit den Füßen von der Felswand ab und tastete sich Schritt für Schritt hinab. Das wirbelnde Wasser unter ihm machte ihn schwindelig. Er reckte den Kopf und schaute nach oben. Eve kniete auf der Felsplatte vor der Buche und beobachtete ihn. Einen Augenblick lang glaubte er, die Chips und Leitungen in ihrem künstlichen Gehirn klicken und schalten zu hören. Was war mit ihm los? Er hatte plötzlichdas Gefühl, dort oben schaue ein neugieriger Roboter auf ihn herab, der jede seiner Bewegungen registrierte und abspeicherte, um es ihm dann gleich zu tun. War das alles, was sie tat? Kopieren? Es war eine niederschmetternde Erkenntnis, aber sie kam der Wahrheit wahrscheinlich nahe. Was machte das eigentlich für einen Unterschied? Jedes Kind lernte so! Und Eve war ein Kind!
    Das Seil zitterte unter seinen Händen. Eve hatte sich über die Felsnase geschwungen und kletterte behände nach unten. Sie schien keine Probleme zu haben, ihm zu

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