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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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geblieben war, und von mir aus brauchte er es auch niemals zu erfahren. »Du hast hier nichts verloren! Geh in dein Zimmer, oder ich verrate deinem Onkel, dass du seine Verbote missachtest!«
    Blanche blickte auf und lächelte mich an. Sie saß auf dem Sofa, und im Arm hielt sie eine Puppe – zum Glück nur irgendeine. Dass sie dabei quasi direkt auf den drei Puppen saß, die ich zwischen den Sofakissen versteckt hatte, hatte sie wohl noch nicht bemerkt. Oberflächlich betrachtet, war es der ganz normale Anblick eines Mädchens, das – zugegeben, schon deutlich zu groß dafür – mit einer Puppe spielte, aber für mich, die ich die Wahrheit kannte, gab es kaum ein verstörenderes Bild als dieses.
    »Was hast du denn?«, fragte sie und blickte mich unschuldig an. »Schau, ist sie nicht schön?« Sie streckte mir die Puppe entgegen. Blonde Locken, Blanche hatte sich ein Püppchen gesucht, das ihr ähnlich sah.
    »Ja, sie ist wunderschön«, sagte ich knapp. »Und jetzt leg sie wieder weg, ja? Bevor du etwas kaputt machst. Die sind wertvoll. Mit denen wird nicht gespielt.« Ich zitterte und wusste nicht, ob es vor Angst, Wut oder Hilflosigkeit war. In diesem Moment war mir egal, ob Rufus es Blanche verboten hatte oder nicht – sie war in mein Reich eingedrungen, in den Raum, der mir viel mehr gehörte als mein Schlafzimmer, und sie mochte in meinen Kleidern herumwühlen, soviel sie wollte, aber von meinen Puppen hatte sie die Finger zu lassen. »Weißt du überhaupt, was du da in der Hand hältst?«
    Blanche lächelte mich an. »Du bist niedlich, wenn du dich aufregst«, sagte sie, und in dem Augenblick sah ich rot. Ich riss ihr die Puppe aus der Hand und packte Blanche beim Arm, um sie vom Sofa hoch- und zur Tür zu zerren.
    »Raus!«, fauchte ich. »Raus hier, sofort!«
    Aber Blanche war kein kleines Mädchen, das sich einfach so durch die Gegend schleppen ließ, und da ich die Puppe nicht loslassen wollte, konnte ich auch nicht fest genug zugreifen. Einen Augenblick lang rangen wir miteinander, aber als Blanche mit leiser, zerbrechlicher Stimme sagte: »Lass mich los, du tust mir weh«, gehorchte ich sofort, ohne nachzudenken. Wir starrten einander an, für einen Moment in der Zeit eingefroren, dann war es Blanche, die zu reden begann.
    »Bitte«, sagte sie. »Du weißt nicht, wie viel es mir bedeutet. Du denkst vielleicht, ich bin nur eine lästige Nervensäge, aber ich muss es wissen. Ich teile mir meinen Körper mit einem von diesen … von diesen Dingern. Ich kann es nicht sehen, nur fühlen, dass etwas da ist, das nicht zu mir gehört, und ich muss einfach wissen, was das ist.« Noch leiser fügte sie hinzu: »Ich hatte noch nie eine Seele, und plötzlich … Es macht mir Angst.«
    Ich machte einen Schritt zurück. »Gib mir den Schlüssel«, sagte ich. »Dann zeige ich es dir. Aber ich muss die Tür abschließen, damit Rufus nichts erfährt.« Plötzlich tat sie mir leid. Ich war nie auf die Idee gekommen, dass der Grund, warum sie unbedingt in dieses Zimmer wollte, etwas anderes sein könnte als Neugier, aber vielleicht war sie wirklich besser als ich darin, Leute zu verstehen. Eigentlich hatte ich mir nie groß Gedanken über die Gefühle anderer gemacht, und es war noch nie nötig gewesen – aber jetzt versuchte ich, mir vorzustellen, wie es Blanche ergehen mochte. Sie wirkte immer so vergnügt, aber hatte man sie gefragt, ob sie in die kalte, feindliche Menschenwelt kommen wollte, wo sie einen toten Körper tragen musste wie ein Kleid aus Fleisch und ihn sich auch noch mit so einem fremden, unfassbaren Ding wie einer Seele teilen musste? »Ich helfe dir«, sagte ich.
    Blanche reichte mir meinen Schlüssel, und wie ich versprochen hatte, schloss ich uns beide im Zimmer ein. Dann fing ich an zu erklären, was die Puppen waren und wie sie für mich aussahen – nur die guten, natürlich, ich wollte die Fee nicht erschrecken. »Nimm die hier«, sagte ich, »aber sei ganz vorsichtig, sie ist beinahe reif. Kannst du das fühlen? Sie werden dann ganz warm und freundlich, weil sie leben wollen. Du musst keine Angst vor ihr haben. Sie ist lieb.«
    Blanche nickte und strich mit dem Finger über das Haar der Puppe, die ich ihr hinhielt, so zaghaft, wie ein Kind versuchen würde, ein Küken zu streicheln. »Kann sie das fühlen?«, flüsterte sie. »Oder tut ihr das weh?«
    »Sie … sie mag es«, log ich. In Wirklichkeit reagierte die Seele auf Blanche nicht wie auf mich. Ich vermute, es fehlte die Körperwärme,

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