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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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von der sich die Seele angezogen fühlte. »Hast du jetzt noch Angst?«, fragte ich und freute mich, als Blanche den Kopf schüttelte.
    »Ich wünschte mir nur, ich könnte sie auch sehen«, sagte Blanche. »Es ist ungerecht, dass nur du sie sehen kannst und wir nicht – warum solltest du mehr von Seelen verstehen als ich, wo du ein halber Mensch bist!«
    Das machte mich hellhörig. »Was meinst du damit?«, fragte ich. »Weißt du irgendwas, das ich nicht weiß?« Eigentlich hatte ich sie, nachdem ich ihr schon geholfen hatte, über Miss Lavender ausfragen wollen, aber wenn Blanche einen Weg kannte, die Seelen zu erlösen, war mir das im Moment wichtiger. Da war ich bereit, mich an jeden noch so kleinen Strohhalm zu klammern. Und alles, was Blanche über Seelen wusste, konnte der entscheidende Hinweis sein, der mir noch fehlte.
    »Eine Fee vermag alle Krankheiten zu heilen, an der ein Sterblicher leiden kann«, sagte sie. »Was meinst du denn, warum die Menschen uns immer geliebt haben? Warum sie sagen, dass wir Wünsche erfüllen? Ich kann jede Wunde heilen, Fieber, Knochenbrüche, und sogar kranke Seelen.« Sie sprach so ernst, dass ich verstand, sie sagte das nicht nur so dahin, um anzugeben. Blanche war schon früher, vor langer Zeit, unter Menschen gewesen, und das nicht als deren Gegnerin. Wusste sie darum immer so gut, wie ich mich fühlte?
    »Oh«, sagte ich. »Das wusste ich nicht.«
    Blanche lachte nur. »Ach, du weißt so viel noch nicht … Aber das kommt alles wieder, wenn du dich erst erinnert hast.«
    Ich biss mir auf die Lippe. »Und du meinst … das könnte ich auch, das Heilen?«
    »Natürlich«, sagte Blanche vergnügt. »Heilen und töten, wir können beides. Wir sind grimme Kämpfer, die keine Gnade kennen, und sanfte … Was ist das denn?« Da, es war schon wieder passiert: Blanche hatte die Aufmerksamkeit verloren. Gerade schien sie etwas an dem Sofa zu stören. Erst dachte ich nur, dass sich vielleicht eine Feder durch das Polster drückte oder ein Knopf sich löste, und ich ließ sie gewähren, wo ich hätte dazwischenspringen müssen.
    »Ist das ein Fuß?«, hörte ich Blanche noch fragen. Und dann war es zu spät.
    Vielleicht war es passiert, als wir miteinander rangen. Vielleicht hatte Blanche sich zu wild auf dem Sofa bewegt. Und vielleicht war die Puppe ganz von allein aus ihrem Versteck gekrochen. Egal auf welchem Weg sie nun ans Licht gekommen war, ich hätte die drei Puppen nicht ausgerechnet zwischen den Sofakissen verbergen dürfen – nicht in einem Möbelstück, dem die Leute so nahe kamen. Warum hatte ich sie nicht im Kamin versteckt, oder hinter den Gardinen, irgendwo anders? So aber war es meine Schuld, und nur meine. Blanche hielt eine der versteckten Puppen in den Händen.
    »Lass los!«, schrie ich noch – oder wollte ich es nur schreien? Es ging so schnell, dass ich gelähmt war vor Entsetzen. Blanche jedenfalls schrie nicht. Sie machte nur ein seltsames Geräusch, wie ein erstauntes » Oh « , und ich wollte schon erleichtert aufatmen; ich dachte, dass Blanche zumindest nicht die Schmerzen fühlen musste, die diese verdammten Puppen bei mir verursachten, als ich begriff, dass Blanche nur deswegen keinen Laut von sich gab, weil sie keine Luft mehr bekam.
    Im gleichen Moment zerbarst die Puppe mit einem Krachen, wie eine riesige Eierschale, aus der sich das Küken befreite. Ich hatte schon zwei gesprungene Puppen gesehen – die, aus der Blanches Seele gekommen war, und jene, die ich im Feenfeuer getötet hatte –, aber dieses Bersten war anders, es war gewaltig und entsetzlich, und Blanche saß da mit dem Ding in ihren Händen und starrte es an mit Augen, die immer größer wurden. In ihrem Gesicht bildeten sich schwarze Linien, wie ich sie sonst nur von den lackierten Körpern der Puppen kannte.
    Gerne würde ich behaupten, dass ich noch versuchte, Blanche die Puppe aus der Hand zu reißen, aber ich tat … nichts. Ich schaute einfach nur zu, erstarrt und gleichzeitig auf widerliche Weise fasziniert. War das die Fee in mir? Ich ertrug es nicht, aber ich musste sehen, was gerade geschah.
    Der Kokon riss der ganzen Länge nach auf, und zum ersten Mal konnte ich eine Seele nicht nur als etwas erahnen, das hinter weißer Seide eingesperrt war, sondern ich sah sie vor mir, frei und zornig, ein Sendbote des Hasses. Auf den ersten Blick hatte sie die Gestalt eines Kindes, eines kleinen Kindes aus schwarzem Rauch, der sich ballte und verwirbelte und keinen Blick in sein

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