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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Tücher wird hier noch gebraucht.«
    »Aber erst«, übernahm Rufus das Wort, »werden wir dir erklären, was deine Aufgabe ist.« Er nickte mir zu. »Was du hier siehst, ist die Sammlung unserer Tante – oder zumindest ein kleiner Teil davon. Miss Lavender, das war ihr Name, hat ihr halbes Leben damit verbracht, sie zusammenzutragen, und sie sucht ihresgleichen. Selbst die berühmte Puppensammlung von Königin Victoria kann es nicht an Pracht mit dieser hier aufnehmen. Wie du vielleicht weißt, befinden sich in der königlichen Sammlung nur einfache deutsche Holzpuppen, während Miss Lavenders Puppen aus feinem Porzellan sind, sehr wertvoll und auch sehr empfindlich.« Während er redete, schritt er durch das Zimmer, vorbei an den verdeckten Möbeln, doch er rührte nichts an, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Du wirst dich um diese Puppen kümmern. Wie du dir denken kannst, ist das Zimmer voll von ihnen, sie sitzen auf den Möbeln und in Vitrinen. Es gibt keinen Katalog, aber wir vermuten, dass es über 200 Stück sein müssen, keine davon wie die andere.«
    »Aber ich …«, würgte ich hervor, »ich mag doch gar keine Puppen.«
    »Ich weiß«, sagte Rufus ungerührt, und sein Lächeln sah im Kerzenlicht kaum weniger gruselig aus als die der Puppen, »deswegen bist du hier. Wir suchten ein Mädchen, das nicht auf die Idee kommt, mit Miss Lavenders Puppen zu spielen. Es sind Sammlerstücke, kein Spielzeug. Sie müssen mit äußerster Sorgfalt behandelt werden. Geh hin, heb eine von ihnen hoch.«
    Ich zögerte. Wirklich, ich verspürte keine Lust, auch nur eine davon anzufassen. Schließlich entschied ich mich für jene, die ganz am linken Rand saß – so musste ich zumindest keine der anderen berühren. Sie hatte ein dunkelblaues Kleid mit karierter Schürze an, ähnlich dem, was Waisenkinder trugen, aber ihr Kopf war mit einem Haufen rötlicher Locken bedeckt, die allen Zöpfen spotteten. Sie war ausgestreckt vielleicht so lang wie mein Unterarm, und sie war schwerer, als ich gedacht hatte, dafür, dass ihr Körper nur aus hohlem Porzellan bestehen sollte. Die Puppen, die ich kannte, hatten einfache Stoffkörper. Diese französischen Puppen – eigentlich wusste ich nicht, ob sie wirklich aus Frankreich kamen oder doch aus Deutschland oder von noch weiter her – hatte ich bisher nur hinter Schaufenstern stehen sehen, an denen ich eilig vorbeiging, und manchmal, in der Weihnachtszeit, gab es kleine Bildchen von ihnen in Zeitungsannoncen. Ich hielt die Puppe mit einer Hand beim Nacken wie ein totes Huhn und wusste nicht, was ich mit ihr anstellen sollte. Unsicher streckte ich sie Rufus hin, aber der schüttelte den Kopf.
    »Ich will sie nicht«, sagte er. »Du wirst ein Verzeichnis anfertigen, in dem jede einzelne Puppe beschrieben wird. Eure Vorsteherin bestätigte mir, dass ihr Mädchen eine Schule besucht habt, also solltest du schreiben können. Die Handschrift von Mädchen ist eine wie die andere: immer sauber und gut zu lesen. Achte nur darauf, keine Fehler zu machen. Die Puppen werden von dir untersucht, vermessen, jede eventuelle Unregelmäßigkeit soll ebenso notiert werden wie Haar- und Augenfarbe. Und wenn am Kleid etwas auszubessern ist, wirst du auch das erledigen. Ich habe gehört, dass ihr in eurem Waisenhaus Näharbeiten verrichtet, um euch damit euren Unterhalt zu verdienen.«
    Ich nickte. Die Puppe wurde mir zu schwer am ausgestreckten Arm, also wechselte ich sie in die andere Hand – nichts lag mir ferner, als sie in meinen Armen zu wiegen oder sie an meine Brust zu drücken. Dieses Ding hatte in der Nähe meines Herzens nichts zu suchen. »Wenn Sie mir etwas zum Schreiben geben, kann ich gleich anfangen«, sagte ich. Je schneller ich damit fertig wurde, desto besser!
    »Nicht so hastig«, sagte Rufus. »Es gibt noch etwas zu beachten. Damit es kein Durcheinander gibt und du, unfähig, dich zu konzentrieren, verschiedene Puppen verwechselst, wirst du jeden Tag nur eine einzelne untersuchen. Wenn du es gründlich machst, sollte das eine gute Stunde dauern, zuzüglich der Zeit für eventuelle Ausbesserungen. Sei genau. Wir wollen jede von Miss Lavenders Puppen nach deiner Beschreibung identifizieren können.«
    Die ganze Heimlichtuerei kam mir seltsam vor, jetzt wo ich wusste, um was es ging. Warum die Fenster verhangen sein mussten, konnte ich mir noch vorstellen. Vielleicht vertrugen die Puppen kein Sonnenlicht; auch ihre Kleider waren kostbar und sollten nicht verschießen. Aber

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