Das Puppenzimmer - Roman
den Mond, und ich fühlte mich ganz klein und verloren. In der Stadt war es niemals so dunkel. Auf der Straße gab es Gaslaternen, und Rauch und Nebel verhinderten, dass das Licht entkommen konnte, und so waberte es um die Häuser und zu den Fenstern herein. Aber hier, auf dem Land, gab es nichts, was geleuchtet hätte.
Ich stieg vorsichtig aus dem Bett, nachdem sich meine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, und schob die Vorhänge beiseite. Vielleicht konnte ich am Himmel einen Hinweis auf die Uhrzeit bekommen, aber stattdessen sah ich Sterne, mehr als ich jemals in meinem ganzen Leben erblickt hatte. Der Himmel war schwärzer als schwarz, aber darin funkelten Tausende winziger Sterne. Sie spendeten kein Licht, sie machten noch nicht einmal den Himmel heller, aber sie waren so wunderschön, dass ich einfach nur dastand und ihnen zusah. Müde war ich nicht mehr, kein bisschen, und ich mochte mich auch nicht wieder hinlegen, solange es draußen derart schön war.
Es war gar nicht so einfach, mich im Dunklen anzuziehen. Zwar leuchtete mein Kleid regelrecht, so weiß war es, aber irgendein Licht hätte ich schon gebraucht, um mich darin zurechtzufinden. Zwar versuchte ich tastenderweise, die richtigen Öffnungen zu finden, aber das rettete mich nicht davor, mit dem Kopf im Ärmel zu landen und stecken zu bleiben, gefangen in meinem Kleid, als hätte mich gerade eine Riesenschlange verschlungen. Ich hatte am Vortag vergessen, Sally nach einer Kerze zu fragen, und selbst wenn ich noch eine aufgetrieben hätte, besaß ich auch keine Zündhölzer. Es musste also irgendwie ohne all das gehen.
Ich wollte hinaus in den Garten, um die Nacht zu genießen. Eigentlich rechnete ich nicht damit, jemandem dabei zu begegnen, und so hätte ich ebenso gut in Leibchen und Unterrock gehen können, aber allein für die vage Möglichkeit, ausgerechnet Rufus über den Weg zu laufen, wollte ich doch lieber voll bekleidet sein. Endlich hatte ich mich in das Kleid gekämpft, und mit ein bisschen Herumtasten fand ich auch meine Schuhe – dann machte ich mich auf den Weg durch das nächtliche Haus.
Wieder ging ich auf den Zehenspitzen, um so wenig Lärm wie möglich zu machen, und ließ meine Finger an der Wand entlanggleiten. Einmal aus dem Zimmer hinaus und auf dem Flur war es stockfinster. Wirklich. Ich konnte die Hand nicht mehr vor Augen sehen, und das war nicht nur sinnbildlich gemeint. Ich wollte niemanden wecken, und das hieß, ich musste vermeiden, über irgendetwas zu stolpern oder gar die Treppe hinunterzufallen. Jetzt zahlte es sich endlich aus, dass ich jahrelang balancieren geübt hatte. Ich bewegte mich sicher und, wie ich mir einbildete, grazil – leicht gesagt, wo doch niemand da war, um es zu sehen, mich selbst eingeschlossen.
Einmal auf der großen Treppe in die Halle, wurde es einfacher, denn dort unten gab es wieder große Fenster, durch welche ein bisschen Sternlicht hereinkam, das mir jetzt fast taghell erschien. Einer Ballerina gleich hüpfte ich Stufe um Stufe hinunter – ich war noch nie in einem Ballett gewesen, aber ich hatte bestimmte Vorstellungen davon, wie das auszusehen hatte. So stand ich endlich vor der großen Doppelflügeltür. Sie war völlig schwarz, alles Licht glitt über sie hinweg und an ihr vorbei, dass ich nichts anderes tun konnte, als sie blind abzutasten. Was ich suchte, war ein Riegel, der mich in den Garten ließ – aber ich fand keinen. Nur ein Schloss ohne Schlüssel. Großartig. Es war mitten in der Nacht, ich hatte das halbe Haus durchquert, und jetzt kam ich nicht hinaus.
Was sollte ich machen? Wieder ins Bett gehen? Das wollte ich auch nicht. Ebenso gut konnte ich die Gelegenheit nutzen, Hollyhock zu erkunden, Raum für Raum, ohne Angst zu haben, dabei jemandem über den Weg zu laufen. Natürlich, mit Licht wäre es besser gegangen; man konnte einfach mehr vom Haus sehen, wenn es nicht gerade stockfinster war, aber dem ließ sich doch sicherlich abhelfen. Irgendwo hatte ich eine Petroleumlampe stehen sehen … Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass sie im Puppenzimmer auf der Kommode stand, neben den Puppen.
Ich schluckte. Es gab Räume, die wollte man nicht im Dunkeln betreten, und dieser gehörte dazu. Die Puppen jagten mir schon tagsüber einen Schauer über den Rücken. Wie sollte das erst nachts sein? Aber schlimmer konnte es eigentlich nicht mehr werden. Egal wie viele Schauerromane ich gelesen hatte, in Wahrheit glaubte ich nicht an Geister. Ich war an einem
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