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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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meines Herzens war ich froh darum.
    Ja, ich hätte fragen können, es gab so viel, was ich wissen wollte. Woher kamen die Puppen? Wer war Miss Lavender, und was war mit ihr geschehen? Was waren Rufus und Violet? Wo war Alan? Hunderte von Fragen, vielleicht Tausende.
    Aber die Wahrheit war, ich hätte nicht auch nur eine weitere Antwort verkraftet. Vielleicht war das der Grund, warum wir acht Jahre lang zur Schule gingen und nicht alles an einem Tag eingetrichtert bekamen. Ein Gehirn konnte pro Tag, Woche, Jahr nur soundso viel vertragen. Was mich anging, so hatte ich in wenigen Minuten genug erfahren, dass es eigentlich für einen ganzen Monat reichen sollte. Spätestens in dem Moment, als Violet das Wort » Seelen « ausgesprochen hatte, war irgendwo in meinem Inneren eine Tür zugeschlagen, um mich zu schützen. Ich wollte das alles nicht wissen – durfte es nicht, und mit Rücksicht auf meinen Verstand, den ich gerne behalten mochte, wollte ich es auch nicht. Es war alles nur ein Traum. Nur ein böser Traum …
    Ich saß in meinem Bett, wusste nicht, wie ich dort hingekommen war, und fühlte, dass etwas nicht stimmte. Um mich herum, in meinem Zimmer … irgendetwas war anders als vorher. Es machte mir Angst. Fast traute ich mich nicht, mich umzublicken. Ich fürchtete mich davor, dass noch mehr Dinge um mich herum ihre Maske fallen ließen und ihr wahres Gesicht zeigten, aber dann sah ich etwas Buntes im Augenwinkel, das zuvor nicht da gewesen war – eine Blumenvase auf meinem Waschtisch. Sie war so klein, dass sie in meine Hand gepasst hätte, und ich versuchte zu erkennen, was für Blumen darin waren. Veilchen und Maiglöckchen und noch ein grünes Kraut, das ich nicht erkennen konnte; ich hätte aufstehen müssen und näher herangehen, aber mir kamen Zweifel. Sollten die Maiglöckchen nicht längst verblüht sein? Natürlich, mir war schon so oft aufgefallen, dass im Garten von Hollyhock einfach alles blühte, ob es gerade der richtige Monat dafür war oder nicht, aber das war dort draußen, nicht in der Sicherheit meines eigenen Zimmers. Ich starrte die Blumen an, wartete, dass sie sich vor meinen Augen in etwas ganz Schreckliches verwandelten, doch nichts geschah. Es blieben Veilchen und Maiglöckchen.
    Wer hatte sie wohl dorthin gestellt? Und warum? Ich schüttelte den Kopf, dachte einen Moment lang, ich wäre im Schlaf herumgelaufen, um Blumen zu pflücken. Es konnte ebenso gut die Wahrheit sein. Ich erinnerte mich nicht. Die Träume, vor denen ich mich so gefürchtet hatte – keine Spur von ihnen. Nicht, dass mich das beruhigt hätte; es war, als ob sie es jetzt nicht mehr nötig hatten, mich im Schlaf heimzusuchen, wenn sie ebenso gut in mein Wachen eindringen konnten. In diesem Moment hätte ich keinem von ihnen standhalten können. Aber es ergab mehr Sinn, wenn jemand mir die Blumen gebracht hatte. Ein freundliches, ein mitleidiges Wesen … In diesem Moment ging die Tür auf, und Blanche schob sich ins Zimmer, rückwärts.
    »Da bist du ja«, sagte sie fröhlich, als sie sich zu mir umdrehte. »Und wach bist du auch. Wie geht es dir? Was machen die Träume?«
    Ich starrte sie nur an. Blanche trug einen Vogelkäfig, bestimmt halb so groß wie sie selbst, und blickte sich nach einem Platz um, wo sie ihn hinstellen konnte. Sah sie nicht, wie klein mein Zimmer war? Es war nicht wie ihres, wo man einfach so einen Käfig ans Fenster stellen konnte oder neben das Bett. Nach einigem Hin und Her schob Blanche meine Waschschüssel beiseite und setzte den Vogelkäfig auf den Waschtisch. Er war zu groß dafür, ein Teil stand über, und ich hatte Angst, dass mit einer falschen Bewegung alles herunterfallen konnte. War da etwa ein Vogel drin? Die Neugierde ließ mich endlich aus dem Bett steigen. »Was tust du hier?«, fragte ich.
    Blanche strahlte mich an. »Ich zeige dir, dass es mir leidtut, was sonst?«, fragte sie, aber in ihrer Stimme klang keine Spur von Bedauern. »Ich mache es dir schön, schließlich ist es meine Schuld, dass es dir gerade schlechtgeht.«
    Mir kam in den Sinn, was Rufus über sie gesagt hatte – und wie zornig er dabei war. Ich musste fast lächeln bei der Vorstellung, wie er sich Blanche vorgeknöpft hatte. »Hast … hast du die Blumen gepflückt?«, fragte ich.
    Stolz nickte Blanche. »Die weißen, das bin ich«, sagte sie in verschwörerischem Tonfall. »Die Veilchen, das ist natürlich Violet. Aber für Rufus habe ich keine passenden Blumen gefunden, tut mir leid.«
    Ich grinste,

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