Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
geraten und konnte im letzten Augenblick von den anderen Burschen am Arm gepackt werden.
»Aber nicht wegen der Marquise, oder?«, erkundigte sich Orffyreus, dessen Neugierde entfacht war.
Der Landgraf ignorierte diese Frage und ging weiter. Orffyreus folgte ihm und war unsicher, ob er mit seiner Frage zu weit gegangen war.
Nach einigen Metern blieb der Landgraf erneut stehen. »Es war Wilhelmine Charlotte«, antwortete er traurig.
Orffyreus, dem inzwischen der Schweiß in die Augen rann, kannte niemanden mit diesem Namen. »Wilhelmine Charlotte?«, fragte er nach.
»Meine Tochter!«, antwortete der Landgraf echauffiert.
»Ah, die Wilhelmine Charlotte.«
»Sie war gerade zarte zwanzig Jahre alt, als dieser nackte Hund sie geschwängert hat!«, schimpfte der Landgraf. »Ich habe von ihm verlangt, dass er sie heiratet. So wäre das viele Geld, das ich ihm gab, ganz nebenbei auch in der Familie geblieben. Und wisst Ihr, was er mir geantwortet hat?« Der Landgraf verzog bei der Erinnerung angewidert das Gesicht. »Er sagte, in seiner Heimat gebe es ein Sprichwort. Dieses laute: Eine Frau zu heiraten, die man geschwängert habe, sei, als scheiße man in seinen eigenen Hut und setze ihn danach auf!«
Orffyreus starrte den Landgraf mit offenem Mund an. Schließlich rief er: »Das hat er nicht gewagt!«
»Er hat!«, bekräftigte der Landgraf.
»Ihr hättet ihn dafür bestrafen müssen«, konstatierte Orffyreus.
»Ich hatte es vor; allerdings wollte ich, dass er zunächst die Pyramide auf dem Oktogon vollendet, auf der wir das Herkules-Denkmal platzieren werden«, erklärte der Landgraf.
Orffyreus schüttelte den Kopf. »Das hatte natürlich Priorität«, pflichtete er bei.
Der Landgraf nickte und kletterte endlich weiter. »Am Morgen danach war er jedoch fort! Ich schickte Reiter los und ließ nach ihm suchen, aber er war wie vom Erdboden verschluckt. Später erfuhr ich, dass er, in einem Weinfass versteckt, die Stadt verlassen hatte. Ein Durchreisender aus Venedig erzählte mir erst vergangene Woche während der Cour, dass dieser Elende nun ein fürstliches Leben in Rom führt. Von meinem Geld!«
»Und Eure Tochter?«, erkundigte sich Orffyreus vorsichtig.
»Er hat ihr das Herz gebrochen. Sie lebt ganz zurückgezogen und kümmert sich ausschließlich um den kleinen Bastard, den dieser Italiener ihr als Andenken zurückließ. Ich werde versuchen, sie nach Holland zu verheiraten!«
Orffyreus atmete immer schwerer und rang hörbar nach Luft. Der Landgraf hingegen schien gut in Form zu sein: Obgleich er eine nicht unerhebliche Leibesfülle aufwies, zeigte er keinerlei Anzeichen von Erschöpfung.
Endlich blieb er stehen und deutete nach links. »Schaut, hier könnt Ihr den Verlauf der Wassertreppen besonders gut erkennen!«
Orffyreus war dankbar für die Pause. Sie standen jetzt neben einem ovalen, aus Stein errichteten Wasserbecken.
»Die Wassertreppen führen oben vom Riesenkopfteich am Oktogon ganze fünfhundertdreiunddreißig Schritte hinunter bis ins Tal«, erläuterte der Landgraf stolz. »Alle fünfundsiebzig Schritte werden die Treppen von einem Wasserbecken, wie diesem hier, unterbrochen, um den Fluss des Wassers zu verlangsamen. In der Mitte läuft das Wasser über Stufen, die eine Breite von vierzehn Schritten aufweisen. Ich kenne keine größeren Wasserkaskaden. Links und rechts von der Hauptwassertreppe seht Ihr zudem, leicht erhöht, die Nebenkaskaden, die jeweils noch einmal drei Schritte breit sind. Insgesamt kommen wir so auf eine Breite von zwanzig Schritten!« Der Landgraf blickte seinen Begleiter eindringlich an, und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er anerkennende Worte erwartete.
Orffyreus wies auf die andere Seite der Kaskaden und fragte: »Was ist das für eine Treppe dort drüben?«
»Das ist eine weitere Treppe für die Besucher der Wasserspiele. Dort werden wir nachher hinabsteigen. Rechts geht es hinauf, links hinab.«
Zu gern wäre Orffyreus bereits jetzt auf der anderen Seite talabwärts gelaufen. Sein Blick fiel auf das Oktogon, das am Ende des Treppenaufgangs hoch oben über ihren Köpfen thronte. Es war ein großes dreistöckiges Bauwerk in der Form eines Achtecks. Von Orffyreus’ Standpunkt aus waren jedoch nur drei Seiten zu erkennen. Von außen sah es aus wie ein riesiges Schloss oder eine Kathedrale. Überall waren prunkvolle Fenster als Rundbögen eingelassen, in denen es jedoch keine Glasscheiben gab. Oben auf dem Oktogon war eine große Pyramide aus Stein
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