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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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mir ausreißen. Im Vorbeifliegen erkannte ich unter mir Reihen bunter Hausdächer, die schließlich dem satten Grün üppiger Wiesen wichen. Urplötzlich wurde mein Flug gestoppt. Ich fiel nicht, sondern stand senkrecht in der Luft – ganz so, als würde man im tiefen Wasser auf der Stelle paddeln. Dann erkannte ich, dass ich direkt vor der großen Statue des Herkules zum Halten gekommen war. Sie war viel größer, als ich erwartet hatte, und es wäre mir ein Leichtes gewesen, mich auf die Nase vor mir zu setzen.
    »Ich wusste, dass du kommst!«, erklärte eine Stimme.
    Ich schaute mich um, konnte aber niemanden neben mir entdecken.
    »Hier unten auf der Keule!«, sagte die Stimme.
    Ich blickte nach unten: Direkt unter mir saß Orffyreus. In der Hand hielt er eine riesengroße Pfeife, aus der blauer Dunst zu mir aufstieg. Ich hustete.
    »Du schon wieder!«, wollte ich rufen, doch aus meinem Mund kamen nur Seifenblasen.
    Orffyreus lachte hysterisch und sah zu mir hoch. »Ich wusste, dass eines Tages jemand hierherkommen wird.«
    Der blaue Dunst wurde dichter, und ich hatte Mühe, ihn zu erkennen. »Woher wusstest du das?«, fragte ich und war erfreut, dass meine Stimme wieder da war.
    »Es ist ganz einfach«, antwortete Orffyreus. »Du hast mir eine Nachricht zukommen lassen.«
    Der blaue Dunst drang in meinen Mund, meine Nase und meine Augen, und ich hatte Schwierigkeiten zu atmen. »Eine Nachricht?«, rief ich mit erstickter Stimme.
    »Ist es nicht nett, das Internet?«, entgegnete er und grinste mich von unten höhnisch an.
    Ich bewegte meine Arme wie Flügel, um irgendwie den Schwaden zu entkommen, kam aber nicht von der Stelle. Dann versuchte ich, den blauen Dunst vor meinem Gesicht mit den Händen fortzuwedeln; doch auch das gelang mir nicht. Er verdichtete sich zu einer blauen, zuckerwatteartigen Masse, die es mir unmöglich machte zu atmen. Verzweifelt schnappte ich nach Luft, doch mein Brustkorb schien wie einzementiert.
    »Flieg schnell weg!«, schrie Orffyreus plötzlich – seine Stimme war so laut, dass mir fast das Trommelfell platzte. »Flieg schnell weg!«
    Ich riss die Augen auf. Mein Blick fiel auf ein Kissen: Ich lag auf dem Bauch. Mein Herz klopfte so sehr, dass ich es in der Matratze hören konnte. Es war stockdunkel.
    Ich drehte den Kopf. Vor meinen Augen blinkte auf dem Nachtisch etwas Blaues. Ich richtete mich auf und erkannte, dass es das kleine blaue Licht meines USB-Sticks war, der meinen Laptop mit dem Internet verband.
    Ruckartig fuhr ich hoch und schüttelte Julia, die neben mir lag, an der Schulter. Erschrocken schlug sie die Augen auf.
    »Wir müssen hier sofort weg!«, rief ich und sprang aus dem Bett.

62
    Hamburg, 1717
    »Händel, Händel, Händel. Gibt es denn keinen anderen Komponisten auf dem Festland?«, stöhnte Gravesande.
    »Es war Euer ausdrücklicher Wunsch, sich hier zu treffen«, antwortete Gärtner mit seinem typisch sächsischen Akzent. »Händel hat in diesem Haus seine allererste Oper aufgeführt. Was erwartet Ihr? Wie man hört, spielen sie hier seitdem fast nur Händel.«
    »Es gibt von England aus keine bessere Verbindung als die Schiffspassage von London nach Hamburg. Auch ist das Risiko sehr gering, dass man uns hier beide zusammen sieht«, entgegnete Gravesande und schaute sich abschätzend um. »Ich hatte es mir prachtvoller vorgestellt. Selbst in London sprechen alle von der großen Hamburger Oper. Das erste Haus dieser Art überhaupt. Und nun bin ich ganz enttäuscht von diesem Holzschuppen. Es sieht eher aus wie ein Viehhaus!«
    »Nicht umsonst heißt der Platz vor der Oper ›Gänsemarkt‹!«, erwiderte Gärtner mit einem spöttischen Lächeln.
    »Seid Ihr denn gut heraufgekommen?«, erkundigte sich Gravesande.
    »Die Postkutschenrouten werden immer schlechter; und die Kutsche war auf der letzten Etappe von Witzenhausen aus so überfüllt, dass ich mir alles gequetscht habe«, entgegnete Gärtner gequält.
    In diesem Augenblick wurde die Pause beendet, und der Dirigent trat wieder vor das Orchester. Die Zuschauer spendeten lustlos Beifall und verstummten. Die Saaldiener löschten die Kerzen, nur an den Türen blieb jeweils ein kleines Notlicht brennen.
    »Ich habe das Stück bereits in London gesehen«, flüsterte Gravesande. »Vor zwei Jahren hatte es Premiere im King’s Theatre . Ich kenne es jedoch unter dem Titel Amadis de Gaula . Händel hat damals den Part des Amadigi selbst gesungen, und ich sage Euch, er hätte es lieber gelassen. Er klang wie ein

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