Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition)
Wachhaus im Inneren des Stadttors; er trug den Geweihhelm unter dem Arm, hatte aber eine Hand im Panzerhandschuh auf dem Schwertgriff liegen. Alin Seroku, ein rauer, ergrauender Mann mit weißen Narben im Gesicht, hatte vierzig Jahre lang Dienst als Soldat am Rand der Großen Fäule getan, und dennoch riss er beim Anblick Lans die Augen auf. Offenbar hatte auch er die Geschichten über Lans Tod gehört.
»Das Licht leuchte auf Euch, Lord Mandragoran. Der Sohn von el’Leanna und al’Akir, gesegnet sei ihr Andenken, ist stets willkommen.« Serokus Blick streifte Bukama, hier war kein Willkommen zu lesen. Er stellte sich breitbeinig mitten in das Tor. Auf jeder Seite hätten mühelos fünf Pferde durchgepasst, aber er wollte als Barriere fungieren, und das gelang ihm. Keiner der Wachen machte eine Bewegung, aber alle hatten die Hand am Schwertgriff. Alle Männer bis auf den Jungen erwiderten Bukamas finstere Blicke. »Lord Marcasiev hat uns befohlen, den Frieden zu vollstrecken«, fuhr Seroku fort – es klang fast wie eine Entschuldigung. Aber nur fast. »Es herrscht Nervosität in der Stadt. Die Geschichten über einen Mann, der die Macht lenkt, sind schlimm genug, aber im vergangenen Monat sind auf offener Straße Morde passiert, schlimmer noch, am helllichten Tag. Und es kam zu seltsamen Unfällen. Die Leute flüstern, dass Schattengezücht innerhalb der Mauern sein Unwesen treibt.«
Lan nickte kaum merklich. Da die Große Fäule so nahe lag, tuschelten die Leute immer von Schattengezücht, wenn sie keine andere Erklärung hatten, ob es sich nun um einen unerwarteten Todesfall handelte oder eine Missernte. Aber er nahm Katzentänzers Zügel nicht in die Hand. »Wir wollten hier ein paar Tage ausruhen, ehe wir weiter nach Norden reiten.« Ausruhen und versuchen, seine alte Form zurückzugewinnen.
Einen Augenblick lang glaubte er, Seroku sei überrascht. Erwartete der Mann einen Eid, den Frieden zu wahren, oder eine Entschuldigung für Bukamas Verhalten? Beides würde Bukama jetzt beschämen. Ein Jammer, wenn der Krieg hier zu Ende ging. Lan wollte nicht sterben, während er Kandori tötete.
Sein alter Freund wandte sich von dem jungen Wachsoldaten ab, der zitternd und mit geballten Fäusten dastand. »Es ist allein meine Schuld«, verkündete Bukama laut mit ausdrucksloser Stimme. »Ich hatte kein Recht, so zu handeln. Beim Namen meiner Mutter, ich werde Lord Marcasievs Frieden wahren. Beim Namen meiner Mutter, ich werde das Schwert nicht innerhalb der Mauern von Canluum ziehen.« Seroku starrte ihn mit offenem Mund an, und Lan hatte Mühe, sein Entsetzen zu verbergen.
Der narbengesichtige Offizier zögerte nur kurz, einen Moment lang, dann trat er beiseite, verbeugte sich und berührte Schwertgriff und Herz. »Lan Mandragoran Dai Shan ist stets willkommen«, sagte er förmlich. »Und Bukama Marenellin, der Held von Salmarna. Möget Ihr beiden eines Tages Frieden erfahren.«
»Frieden liegt in der letzten Umarmung der Mutter«, antwortete Lan ebenso förmlich und berührte Schwertgriff und Herz.
»Möge sie uns eines Tages zu Hause willkommen heißen«, vollendete Seroku. Niemand sehnte sich wirklich nach dem Grab, aber in den Grenzlanden war das der einzige Ort, wo man Frieden finden konnte.
Mit steinerner Miene ging Bukama weiter und zog Sonnenlanze und das Packpferd hinter sich her, ohne auf Lan zu warten. Das verhieß nichts Gutes.
Canluum war eine Stadt aus Stein und Lehmziegeln, deren gepflasterte Straßen serpentinenförmig um hohe Hügel verliefen. Die Invasion der Aiel war nie bis in die Grenzlande vorgedrungen, aber die Wogen des Krieges beeinträchtigten den Handel stets auch in großer Entfernung von Schlachtfeldern, und nun, da die Kämpfe und der Winter beide zu Ende waren, strömten Leute aus aller Herren Länder in die Stadt. Obwohl die Große Fäule gewissermaßen vor der Haustür lag, machten die in den umliegenden Hügeln geschürften Edelsteine Canluum wohlhabend. Und seltsamerweise auch einige der besten Uhrmacher, die es überhaupt gab. Die Rufe von Straßenhändlern und Ladenbesitzern, die ihre Ware anpriesen, hallten selbst abseits des terrassenförmigen Marktplatzes über das Murmeln der Menge hinweg. Farbenfroh gekleidete Musikanten, Jongleure oder Akrobaten gingen an jeder Straßenecke ihrem Gewerbe nach. Ein paar lackierte Kutschen fuhren schwankend durch die Masse aus Menschen, Wagen, Karren und Schubkarren und Pferde mit gold- oder silbergeschmückten Sätteln und Zaumzeug,
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