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Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition)

Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition)

Titel: Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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hergekommen waren. In die Fäule. Nur Verrückte begaben sich freiwillig in die Fäule. Sie raffte ihre kratzigen Wollröcke und zwang sich, den wie eine Schlachtbank aussehenden Hof in Richtung Tor zu überqueren. Das war der Weg, den sie nehmen musste.

KAPITEL 10

    Das Ende
    N eunundneunzig Gewebe. Sie fand den sechszackigen Stern in Form von runden Flusskieseln zwischen den sich auftürmenden Dünen einer Wüste, deren Hitze sie schwindelig machte und die die Feuchtigkeit von ihrer Haut saugte, bevor sich der Schweiß bilden konnte. Sie fand ihn in den Schnee eines Berghangs gekratzt, wo Sturmwinde auf sie niederfuhren und um sie herum Blitze einschlugen, und in einer großen Stadt voller unvorstellbarer Türme, deren Bewohner sie mit einer unverständlichen Sprache anredeten. Sie fand ihn in einem nachtverhüllten Wald, einem Sumpf, in einem Marschland mit hohen Gräsern, die wie Messer schnitten, auf Bauernhöfen und Ebenen, in Hütten und Palästen. Manchmal fand sie ihn bekleidet, aber ihre Kleidung löste sich oftmals einfach auf, und genauso oft fehlte sie ihr von Anfang an. Manchmal war sie plötzlich mit Seilen oder Ketten gefesselt, in verkrümmte Positionen gezwungen, die ihre Gelenke verrenkten, oder war an den Händen oder Füßen aufgehängt. Sie stellte sich giftigen Schlangen und reißzahnbewehrten Wasserechsen von drei Spannen Länge, wilden Ebern und jagenden Löwen, hungrigen Leoparden und panisch daherstürmenden Viehherden. Sie wurde von Hornissen und Wespen gestochen, von Ameisenschwärmen und Pferdebremsen und ihr unbekannten Insekten gebissen. Fackeln schwingender Pöbel wollte sie auf den Scheiterhaufen schleppen, Weißmäntel sie hängen, Räuber sie erstechen, Wegelagerer sie erdrosseln. Und jedes Mal vergaß sie wieder und wunderte sich über den Riss auf ihrer Wange oder den Schnitt auf ihren Rippen, der nur von einem Schwert herrühren konnte, die drei tiefen Bahnen auf dem Rücken, die nur von Krallen stammen konnten, und die anderen Wunden und Verletzungen, die sie blutend und hinkend weitergehen ließen. Und sie war müde. Oh, so müde, so abgrundtief müde. Mehr, als die neunundneunzig Gewebe erklären würden. Vielleicht taten es ja ihre Verletzungen. Neunundneunzig Gewebe.
    Sie raffte ihre einfachen wollenen Röcke und humpelte zu dem sechszackigen Stern, der neben einem plätschernden Marmorbrunnen in einem kleinen, von einer Kolonnade schlanker Säulen umgebenen Garten mit roten Fliesen markiert worden war. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, und ein unbewegtes Gesicht aufrechtzuerhalten brachte sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. In all ihren Gliedern pochte der Schmerz. Nein, Qual traf es besser. Aber das hier war das Letzte. Sobald es vollendet war, würde auch das hier zu Ende sein, was es auch war, und sie würde sich Heilen lassen können. Falls sie eine Aes Sedai finden konnte. Aber eine Seherin würde es auch tun.
    Es handelte sich um ein weiteres dieser nutzlosen Gewebe, das nur einen Schwarm bunter Leuchtpunkte produzierte, wenn man es richtig machte. Falsch gewoben würde es ihrer Haut eine schmerzhafte Rötung einbringen, wie bei einem schlimmen Sonnenbrand. Sie fing vorsichtig an.
    Ihr Vater trat aus der Kolonnade rechts vor ihr, in einem langen Mantel, dessen Schnitt mindestens ein Jahr aus der Mode war, die Farbstreifen von Haus Damodred reichten von dem hohen Kragen bis unterhalb seiner Knie. Für einen Cairhiener war er sehr groß, fast sechs Fuß, und er trug das ziemlich ergraute Haar im Nacken zusammengebunden. Er war immer kerzengerade gegangen, es sei denn, er hatte sich gebückt, damit sie ihm als Kind in die Arme springen konnte, aber jetzt waren seine Schultern gekrümmt. Sie konnte nicht verstehen, warum sein Anblick ihr plötzlich Unbehagen bereitete.
    »Moiraine«, sagte er mit sorgenvoll gerunzelter Stirn, »du musst sofort mit mir kommen. Es ist deine Mutter, Kind. Sie liegt im Sterben. Wenn du jetzt kommst, können wir es gerade noch rechtzeitig schaffen.«
    Es war zu viel. Sie wollte weinen. Sie wollte mit ihm loslaufen. Sie tat nichts davon. Das Gewebe schien sich in plötzlichem Verschwimmen wie von selbst zu vollenden, und überall um sie herum regneten fröhlich bunte Flecken zu Boden. Der Anblick erschien besonders bitter. Sie öffnete den Mund, um ihn zu fragen, wo ihre Mutter war, und sah hinter ihm einen zweiten Stern, der in roten Steinen über der Kolonnade angebracht war, aus der er gekommen war. Gleichmäßigen

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