Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
und dazwischen blieb sie an diesem oder jenem Tisch stehen, sprach hier ein paar Worte oder klatschte einem Gast auf die Schultern oder lachte mit ihnen.
Siuan bewegte sich dagegen steif und bemühte sich, die abschätzenden Blicke der Männer zu ignorieren, während sie sich der Frau mit den hochroten Haaren näherte. »Frau Tharne?« Sie musste den Namen dreimal wiederholen, und jedes Mal lauter, bis die Wirtin sie endlich anblickte. »Frau Tharne, ich brauche eine Anstellung als Sängerin. Ich kann …«
»Tatsächlich, könnt Ihr das?« Die massige Frau lachte. »Tja, ich habe wohl eine Sängerin, aber ich kann durchaus noch eine gebrauchen, um ihr eine Pause zu gönnen. Lasst mich mal Eure Beine sehen.«
»Ich kann das ›Lied der Drei Fische‹ singen«, sagte Siuan laut. Das musste doch wohl die richtige Frau sein, oder? Sicher hatten keine zwei Frauen in der gleichen Stadt Haare wie diese und trugen den richtigen Namen in der richtigen Schenke?
Frau Tharne lachte noch schallender und klatschte einem der Männer am nächsten Tisch so auf die Schulter, dass es ihn beinahe von der Sitzbank warf. »Das wird hier ziemlich selten gewünscht, eh, Pel?« Pel, der große Zahnlücken aufwies und eine Kutscherpeitsche um die Schulter gewickelt hatte, gackerte mit ihr um die Wette.
»Und ich kann auch noch ›Blauer Morgenhimmel‹.«
Die Frau wurde richtiggehend durchgeschüttelt, und sie musste sich die Tränen aus den Augen wischen, so sehr lachte sie. »Tatsächlich? Oh, ich bin sicher, das wird den Burschen gefallen. Jetzt lass mich deine Beine sehen. Deine Beine, Mädchen, sonst kannst du gleich wieder gehen!«
Siuan zögerte, aber Frau Tharne blickte sie lediglich erwartungsvoll an. Genau wie ein ständig wachsende Zahl von Männern. Das musste einfach die richtige Frau sein. Langsam zog sie ihren Rock bis an die Knie hoch. Die große Frau gestikulierte ungeduldig. So schloss Siuan die Augen und raffte ihrem Rock weiter und weiter. Sie spürte, wie ihr Gesicht immer dunkler anlief.
»Auch noch verschämt«, gluckste Frau Tharne amüsiert. »Aber falls diese Lieder alles sind, was du singen kannst, musst du eben viel Bein zeigen, um die Männer zum Toben zu bringen. Na ja, wenn diese Wollstrümpfe weg sind, kann man vielleicht mehr sagen, eh, Pel? Also komm mal mit nach hinten. Vielleicht hast du ja eine gute Stimme, aber hier drinnen kann ich sie bei diesem Lärm nichts hören. Los, Mädchen. Beweg deinen Arsch!«
Siuan riss die Augen auf und wollte sie zornig anfunkeln, doch die große Frau schritt bereits zur Hintertür des Schankraums. Siuan ließ den Rock fallen und folgte ihr, steif wie eine Eisenstange, wobei sie die grinsenden Männer zu ignorieren versuchte, deren lüsterne Bemerkungen ihr bis hinaus folgten. Ihre Miene war steinern, doch innerlich war sie aufgewühlt und schwankte zwischen Sorge und Zorn.
Bevor sie zur Amyrlin erhoben worden war, hatte sie bei den Blauen das Agentennetz der Augen-und-Ohren geleitet und einige von ihnen, wie auch später noch, als ihre ganz persönlichen Spitzel eingesetzt. Sie mochte zwar nicht mehr die Amyrlin sein und nicht einmal mehr eine Aes Sedai, doch diese Agenten kannte sie alle noch recht gut. Duranda Tharne hatte bereits für die Blauen gearbeitet, als sie damals das Netz übernahm, und sie hatte immer pünktlich und präzise berichtet. Augen-und-Ohren konnte man nicht überall finden, und ihre Zuverlässigkeit schwankte oft. Es hatte eigentlich zwischen Tar Valon und Lugard nur eine einzige wirklich zuverlässige Agentin gegeben – in Vier Könige im Lande Andor –, aber die war verschwunden. Gerade hier in Lugard konnte man durch die Wagenzüge der Kaufleute eine Unmenge an Informationen erhalten, seien es nun wahre Berichte oder auch nur Gerüchte. Bestimmt waren auch die Augen-und-Ohren anderer Ajahs hier am Werk, das sollte sie sich immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen. Vorsicht bringt das Boot sicher zum Hafen, dachte sie unwillkürlich.
Die Frau entsprach genau der Beschreibung von Duranda Tharne, und sicherlich trug keine andere Schenke einen so abscheulichen Namen. Doch warum hatte sie so reagiert, als sich Siuan ihr gegenüber als Agentin der Blauen identifiziert hatte? Sie musste das Risiko eingehen. Min und Leane wurden langsam genauso ungeduldig wie Logain. Vorsicht brachte wohl das Boot sicher zum Hafen, aber manchmal brachte einem ein wenig Kühnheit eine volle Ladung ein. Im schlimmsten Fall musste sie eben der Frau
Weitere Kostenlose Bücher