Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
wissen.
Als sie den vorderen Ruheraum betrat, wurde sie doch überrascht. Neun der zehn Schwarzen Schwestern, die mit ihr gekommen waren, standen an der geschnitzten und bemalten Wandtäfelung, obwohl doch auf dem Teppich mit den Goldfransen genügend mit Seidenkissen ausgestattete Stühle standen. Die zehnte, Temaile Kinderode, reichte gerade einer dunkelhaarigen und auf maskuline Art gutaussehenden Frau in einem bronzefarbenen, langen Kleid unbekannten Schnitts eine dünne Porzellantasse mit Tee. Die Sitzende kam ihr irgendwie bekannt vor, obwohl sie keine Aes Sedai war. Offensichtlich näherte sie sich den mittleren Jahren, und trotz der straffen Haut ihrer Wangen hatte sie nichts von der für Aes Sedai typischen Alterslosigkeit an sich.
Die im Raum herrschende Stimmung machte Liandrin misstrauisch. Temaile wirkte täuschend zerbrechlich mit ihren großen, blauen Kinderaugen, die sofort das Vertrauen der Menschen erweckten. Diese Augen blickten nun besorgt drein oder zumindest beunruhigt, und die Tasse klapperte ein wenig auf der Untertasse, bevor die andere sie ihr abnahm. Alle Gesichter blickten unruhig drein, außer dem dieser auf so eigenartige Weise bekannt wirkenden Frau. Jeaine Caide mit der kupferfarbenen Haut in einem dieser widerlichen Domanikleider, das sie hier im Haus trug, hatte sogar noch ein paar glitzernde Tränen auf den Wangen. Sie war einst eine Grüne gewesen und stellte sich noch lieber als die meisten Grünen den Männern zur Schau. Rianna Andomeran, einst eine Weiße und sogar dann noch arrogant und kalt, wenn sie jemand tötete, berührte immer wieder nervös die helle Strähne über dem linken Ohr in ihrem ansonsten schwarzen Haar. Ihre Arroganz schien einen Dämpfer erhalten zu haben.
»Was ist denn hier passiert?«, wollte Liandrin wissen. »Wer seid Ihr und was …?« Plötzlich durchzuckte sie eine Erinnerung. Eine der Schattenfreunde, eine Dienerin aus Tanchico, die sich dauernd danebenbenommen hatte. »Gyldin!«, fauchte sie. Diese Dienerin war ihnen offensichtlich irgendwie gefolgt und gab sich jetzt wohl als Kurier der Schwarzen aus. Wahrscheinlich hatte sie eine schlimme Nachricht überbracht. »Diesmal seid Ihr entschieden zu weit gegangen.« Sie griff nach Saidar , doch im gleichen Augenblick umgab das typische Glühen die andere Frau, und Liandrins Versuch endete an einer dicken, unsichtbaren Wand, die sie von der Wahren Quelle abschirmte. Die Quelle hing quälend und unerreichbar wie die Sonne außerhalb ihres Zugriff.
»Hör auf, mich so anzustarren, Liandrin«, sagte die Frau gelassen. »Du siehst aus wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ich bin nicht Gyldin, sondern Moghedien. In diesen Tee muss mehr Honig, Temaile.« Die schlanke Frau mit dem Fuchsgesicht eilte schwer atmend herbei, um die Tasse entgegenzunehmen.
Es musste stimmen. Wer sonst könnte die anderen derart beherrschen? Liandrin sah sie an, wie sie ängstlich an die Wand gedrückt dastanden. Eldrith Jhondar mit dem runden Gesicht wirkte diesmal gar nicht geistesabwesend, trotz des Tintenflecks auf ihrer Nase. Sie nickte lebhaft. Die anderen hatten wohl sogar Angst, sich überhaupt zu rühren. Warum sich eine der Verlorenen – die Bezeichnung durften sie eigentlich gar nicht verwenden, taten es aber, wenn sie unter sich waren –, warum sich also Moghedien hinter der Maske einer Dienerin verborgen hatte, war ihr unverständlich. Die Frau hatte alles oder konnte zumindest alles haben, was sie wollte. Nicht nur die Beherrschung der Einen Macht in einem Maße, von dem sie selbst nur träumen konnte, sondern vor allem Macht. Macht über andere, Macht über die Welt. Und Unsterblichkeit. Macht für ein ganzes Leben, das niemals enden würde. Sie und ihre Schwestern hatten bereits über Unstimmigkeiten zwischen den Verlorenen diskutiert. Befehle hatten sich widersprochen, und Befehle anderen Schattenfreunden gegenüber hatten wiederum ganz anders gelautet. Vielleicht hatte sich Moghedien vor den übrigen Verlorenen versteckt gehalten?
Liandrin breitete ihr geteiltes Reitkleid so gut sie konnte aus, während sie tief knickste. »Wir heißen Euch willkommen, Herrin. Wenn uns die Auserwählten führen, werden wir ganz sicher triumphieren, bevor der Tag der Wiederkehr des Großen Herrn kommt.«
»Hübsch ausgedrückt«, sagte Moghedien trocken und nahm die Tasse wieder von Temaile entgegen. »Ja, nun schmeckt er entschieden besser.« Temaile wirkte auf absurde Weise dankbar und erleichtert. Was hatte Moghedien mit
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