Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
fiel ihr etwas ein, das sie wie ein Hammerschlag traf. ›Marigan‹ kümmerte sich immer noch um sie, wenn auch mürrisch, sorgte dafür, dass sie badeten und Essen bekamen, aber jetzt, da sie wieder zu sprechen imstande waren, würden sie möglicherweise ausplaudern, dass die Frau gar nicht ihre Mutter war! Vielleicht hatten sie das sogar schon erzählt. Das mochte weiter keine Fragen auslösen, doch andererseits war das nicht auszuschließen. Und solche Fragen konnten das ganze Kartenhaus, das sie um sich herum aufgebaut hatten, zum Einsturz bringen. Der Eisklumpen machte sich wieder in Nynaeves Bauch breit. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht?
Sie fuhr zusammen, als Birgitte ihren Arm berührte. »Was ist los, Nynaeve? Du machst ein Gesicht, als sei deine beste Freundin gestorben und habe dich mit ihrem letzten Atemzug verflucht.«
Areina stolzierte mit steifem Kreuz davon und warf ihnen einen letzten beleidigten Blick hinterher. Die Frau sah Birgitte zu, wie sie mit Männern trank und flirtete, ohne mit der Wimper zu zucken, ja, sie ahmte sie sogar nach, als wolle sie es ihr gleichtun, doch jedes Mal, wenn Birgitte mit Elayne oder Nynaeve allein sein wollte, kochte sie vor Wut. Männer betrachtete sie nicht als Bedrohung, denn für Areina zählten nur Frauen, aber nur sie allein durfte Birgittes Freundin sein! Der Gedanke, zwei Freundinnen zu haben, schien ihr fernzuliegen. Nun ja, genug davon; es gab anderes zu tun.
»Könntest du uns Pferde besorgen?« Nynaeve bemühte sich, ihre Stimme zu festigen. Sie war nicht gekommen, um diese Frage zu stellen, aber im Hinblick auf Seve und Jaril ergab sie durchaus einen Sinn. »Wie lange würdest du brauchen?«
Birgitte zog sie von der Straße weg in eine kleine Gasse zwischen zwei verwitterten Häusern und sah sich vorsichtig um, bevor sie antwortete. Niemand war nahe genug, um sie zu belauschen, und keiner schenkte ihnen Beachtung. »Ein oder zwei Tage. Uno hat mir gerade berichtet …«
»Nicht Uno! Diesmal geht es ihn nichts an. Nur dich, Elayne und Marigan. Es sei denn, Thom und Juilin kehren rechtzeitig zurück. Und Areina, schätze ich, falls du darauf bestehst.«
»Areina mag in mancher Hinsicht töricht sein«, sagte Birgitte bedächtig, »aber das Leben wird ihr das schon austreiben oder sie zurechtschleifen. Außerdem weißt du, dass ich niemals darauf bestehen werde, sie mitzunehmen, wenn du oder Elayne das nicht wünschen.«
Nynaeve hielt den Mund. Die Frau benahm sich, als sei sie diejenige, die eifersüchtig war! Es ging sie nichts an, ob Birgitte sich mit einer so wetterwendischen Person wie Areina abgeben wollte.
Birgitte rieb sich mit dem Handrücken den Mund und runzelte die Stirn. »Thom und Juilin sind gute Männer, aber die beste Art, Schwierigkeiten zu vermeiden, ist, dafür zu sorgen, dass niemand dir Schwierigkeiten bereiten will. Ein Dutzend oder mehr Shienarer in voller Rüstung – oder auch ohne – sollten da eine große Hilfe sein. Ich verstehe das nicht mit Uno und dir. Er ist ein harter Bursche, und er würde dir und Elayne auch noch bis in den Krater des Verderbens folgen.« Plötzlich überzog ein Grinsen ihr Gesicht. »Außerdem ist er ein gut gebautes Mannsbild.«
»Wir brauchen niemanden, um Händchen zu halten«, erwiderte Nynaeve schnippisch. Gut gebaut? Die bemalte Augenklappe kam ihr quälend in den Sinn, die und die Narben. Die Frau hatte wirklich einen eigenartigen Geschmack, was Männer betraf. »Wir werden mit allem fertig, was uns unterwegs zustoßen könnte. Ich denke, das haben wir hinreichend bewiesen, wenn es überhaupt noch eines Beweises bedurfte.«
»Das weiß ich auch, Nynaeve, aber wir werden die Schwierigkeiten anlocken wie der Abfallhaufen die Fliegen. Altara ist allmählich am Überkochen. Jeder Tag bringt neue Berichte von den Drachenverschworenen, und ich setze mein bestes Seidenkleid gegen einen deiner alten Unterröcke, dass die Hälfte davon lediglich Räuber sind, die vier Frauen ohne männlichen Schutz als leichte Beute betrachten würden. Wir werden jeden zweiten Tag den Beweis antreten müssen, dass wir keineswegs leichte Beute sind. Wie ich hörte, geht es in Murandy schlimmer zu. Das steckt voll von Drachenverschworenen und Banditen und Flüchtlingen aus Cairhien, und alle fürchten, der Wiedergeborene Drache könne sie jeden Tag erreichen und über sie herfallen. Ich nehme an, du hast nicht vor, den Fluss in Richtung Amadicia zu überqueren. Ich schätze, du willst nach Caemlyn.«
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