Das Rad der Zeit 8. Das Original: Der Weg der Klingen (German Edition)
Schultern nähme. Früher oder später, auf die eine oder andere Art, würde Alviarin jedoch so sicher erledigt sein, wie diese Rosen es waren …
»Ihr habt auf mein Klopfen nicht geantwortet, Mutter, also kam ich einfach herein«, sagte eine Frau hinter ihr barsch.
Elaida wandte sich um, bereit zu schelten, aber beim Anblick der stämmigen Frau mit dem viereckigen Gesicht und einer roten Stola, die unmittelbar hinter der Tür stehen geblieben war, wich alles Blut aus ihrem Gesicht.
»Die Bewahrerin sagte, Ihr wolltet mich sprechen«, äußerte Silviana verärgert. »Wegen einer geheimen Buße.« Sie bemühte sich nicht einmal dem Amyrlin-Sitz gegenüber, ihre Abscheu zu verbergen. Silviana hielt geheime Bußen für lächerliche Heuchelei. Buße war eine öffentliche Angelegenheit, nur die Bestrafung geschah im Geheimen. »Sie hat mich auch gebeten, Euch an etwas zu erinnern, aber sie eilte davon, ohne mir zu sagen, worum es sich handelte.« Sie beendete ihre Worte mit einem Schnauben. Silviana sah alles, was ihr Zeit für ihre Novizinnen und Aufgenommene raubte, als unnötige Unterbrechung an.
»Ich glaube, ich erinnere mich«, sagte Elaida teilnahmslos.
Als Silviana schließlich ging – nach nur einer halben Stunde, dem Glockenschlag von Cemailes Uhr nach zu urteilen, und doch eine nicht enden wollende Ewigkeit –, hielt nur die Sicherheit der Vorhersage und der Gedanke daran, dass Seaine den Verrat zu Alviarin zurückverfolgen würde, Elaida davon ab, sofort den Saal der Sitzenden zusammenzurufen, um zu fordern, Alviarin die Stola der Bewahrerin der Chroniken abzunehmen – und die ebenso sichere Tatsache, dass sie selbst in dieser Konfrontation mit Bestimmtheit gestürzt würde, gleichgültig, ob dies auch für Alviarin galt oder nicht. Also lag Elaida do Avriny a’Roihan, die Wächterin über die Siegel, die Flamme von Tar Valon, der Amyrlin-Sitz und gewiss die mächtigste Herrscherin der Welt, mit dem Gesicht nach unten auf ihrem Bett und weinte in die Kissen, zu geschwächt, um das Nachthemd anzuziehen, das vergessen auf dem Boden lag. Bei ihrer Rückkehr würde Alviarin gewiss darauf bestehen, dass sie die ganze Befragung über säße. Sie weinte und betete durch ihre Tränen hindurch, dass Alviarins Niedergang bald geschähe.
»Ich habe dir nicht aufgetragen, Elaida … schlagen zu lassen«, sagte diese Stimme wie Kristallglocken. »Erhebst du dich über dich selbst?«
Alviarin warf sich vor der Frau, die aus Schatten und silbrigem Licht gemacht schien, von den Knien auf den Bauch. Sie ergriff den Saum von Mesaanas Gewand und überhäufte es mit Küssen. Das illusorische Gewebe – das musste es sein, obwohl sie weder auch nur einen einzigen Faden Saidar sehen konnte noch die Fähigkeit, die Macht zu lenken, die sie bei der Frau spürte, die über ihr aufragte – hielt nicht vollständig stand, da sie den Saum des Gewandes hektisch bewegte. Bronzefarbene Seide mit einem schmalen Rand kunstvoll gestickter schwarzer Schneckenverzierungen schimmerten hindurch.
»Ich lebe, um Euch zu dienen und zu gehorchen, Große Herrin«, keuchte Alviarin zwischen Küssen. »Ich weiß, dass ich zu den Untersten der Unteren gehöre, in Eurer Gegenwart ein Nichts bin, und bete nur für Euer Lächeln.« Sie war schon einmal dafür bestraft worden, sich ›über sich selbst erhoben‹ zu haben – nicht für Ungehorsam, dem Großen Herrn der Dunkelheit sei Dank! –, und sie wusste, dass Elaida zu diesem Zeitpunkt nicht halb so laut wehklagen konnte wie sie damals.
Mesaana duldete die Küsse eine Weile und setzte ihnen schließlich ein Ende, indem sie Alviarins Gesicht mit einer Schuhspitze unter dem Kinn anhob. »Der Erlass ist bekannt gegeben worden.« Es war keine Frage, aber Alviarin antwortete dennoch hastig.
»Ja, Große Herrin. Und Abschriften sind zum Nordhafen und Südhafen gesandt worden, noch bevor ich Elaida unterschreiben ließ. Die ersten Kuriere sind aufgebrochen, und kein Händler wird die Stadt verlassen, ohne Kopien zur Verteilung mitzunehmen.« Mesaana wusste das alles natürlich bereits. Sie wusste alles. Ein Krampf verhärtete Alviarins gekrümmten Nacken, aber sie regte sich nicht. Mesaana würde ihr sagen, wann sie sich bewegen durfte. »Große Herrin, Elaida ist nur eine leere Hülle. Darf ich demütig fragen, ob es nicht besser wäre, wenn wir ohne sie auskämen?« Sie hielt den Atem an. Fragen konnten bei den Auserwählten gefährlich sein.
Ein silbriger Finger mit einem Schattennagel
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