Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
es den Seanchanern in die Hände spielte. Auch sie verfügten über Leute, die man Sucher der Wahrheit nannte, und dem Wenigen zufolge, was er gehört hatte – selbst Leute, die unbefangen über die Totenwache sprachen, machten den Mund zu, wenn es um die Sucher ging –, ließen die Sucher die Zweifler der Weißmäntel wie kleine Jungen aussehen, die Fliegen die Flügel ausrissen; sicherlich ekelhaft, aber nichts, worüber sich ein Mann Sorgen machen musste.
»Ich verstehe«, sagte der Alte langsam. »Das habe ich nicht gewusst.« Er klang, als würde er sich über sich selbst ärgern. »Ihr müsst viel Zeit mit den Seanchanern verbringen. Kennt Ihr auch die Hochlady Suroth? Ich muss schon sagen, ich hatte keine Ahnung, dass Ihr solch weitreichende Verbindungen habt.«
»Wenn ich kann, verbringe ich Zeit mit den Soldaten in Schenken«, erwiderte Mat mürrisch. Wenn Tylin ihn ließ. Licht, er hätte genauso gut verheiratet sein können! »Suroth weiß nicht, dass es mich gibt.« Und er hoffte inständig, dass das auch so blieb.
Die drei Seanchaner waren bereits außer Sicht, ihre Pferde hatte man in die Ställe geführt, aber mehrere Dutzend Sul’dam verschafften ihren Damane den abendlichen Auslauf und führten sie in einem großen Kreis über den gepflasterten Hof. Fast die Hälfte der grau gekleideten Damane waren dunkelhäutige Frauen, die nun auf den Schmuck verzichten mussten, den sie als Windsucherinnen getragen hatten. Im Palast und auch überall sonst gab es noch mehr von ihnen; die Seanchaner hatten auf den Schiffen des Meervolks, die ihnen nicht entkommen waren, eine reiche Ernte eingefahren. Die meisten Gesichter zeigten mürrische Resignation oder steinerne Mienen, aber sieben oder acht von ihnen starrten verloren und verwirrt ins Leere, da sie es noch immer nicht glauben konnten. Jede dieser Frauen wurde von einer in Seanchan geborenen Damane begleitet, die ihr die Hand hielt oder einen Arm um sie gelegt hatte und ihr unter den anerkennenden Blicken der Frauen, die zu ihren silbernen Kragen gehörende Armbänder trugen, lächelnd zuflüsterte. Ein paar der benommenen Frauen klammerten sich so verzweifelt an die sie begleitende Damane , als hielten sie Rettungsringe. Es hätte ausgereicht, um Mat frösteln zu lassen, hätten dafür nicht schon seine feuchten Kleider gesorgt.
Er versuchte, Noal schnell über den Hof zu führen, aber der Kreis brachte eine Damane in seine Nähe, die weder Seanchanerin noch eine Atha’an Miere war. Sie war mit einer fülligen Sul’dam mit grauen Haaren verbunden, die olivfarbene Haut hatte und als Altaranerin und Mutter durchgegangen wäre. Der Art und Weise nach zu urteilen, wie sie ihren Schützling ansah, war sie eine strenge Mutter mit einem möglicherweise widerspenstigen Kind. Teslyn Baradon war nach anderthalb Monaten seanchanischer Gefangenschaft dicker geworden, doch ihr altersloses Gesicht sah noch immer so aus, als würden ihre drei Mahlzeiten des Tages nur aus Dornenzweigen bestehen. Andererseits ging sie friedlich an ihrer Leine, gehorchte den gemurmelten Anweisungen der Sul’dam , ohne zu zögern, und blieb nur stehen, um sich tief vor ihm und Noal zu verbeugen. Aber einen Augenblick lang blitzte in ihren dunkeln Augen tiefer, auf ihn gemünzter Hass auf, bevor sie und die Sul’dam ihre Runde auf dem Stallhof fortführten. Friedlich, gehorsam. Er hatte auf genau diesem Stallhof miterlebt, wie man Damane wegen irgendwelchen Kleinigkeiten so lange mit Ruten geschlagen hatte, bis sie schrien. Teslyn war unter ihnen gewesen. Sie hatte ihm nie etwas Gutes getan, manchmal vielleicht sogar etwas Schlechtes, aber er hätte ihr niemals ein solches Schicksal gewünscht.
»Besser als tot zu sein, schätze ich«, murmelte er und ging weiter. Teslyn war eine harte Frau, die vermutlich jeden Augenblick mit Fluchtplänen beschäftigt war, aber Härte brachte einen auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Die Herrin der Schiffe und ihre Meisterin der Klingen waren ohne einen Schrei von sich zu geben am Pfahl gestorben, aber es hatte sie nicht gerettet.
»Glaubt Ihr das wirklich?«, fragte Noal gedankenverloren und fummelte wieder an seinem Bündel herum. Seine verkrüppelten Hände waren mit dem Messer recht geschickt umgegangen, aber bei allem anderen schienen sie unbeholfen zu sein.
Mat sah ihn stirnrunzelnd an. Nein, er war sich nicht sicher, ob er es glaubte. Die silbernen A’dam schienen zu sehr dem unsichtbaren Kragen zu ähneln, den Tylin ihm angelegt
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