Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
drei Frauen, und der Schnee reichte den Töchtern fast bis zu den Knien. Die schwarzen Schleier hingen ihnen auf der Brust und sie betrachteten ihre Gefangenen und die Gai’shain reglos. Einen Augenblick lang sah Faile sie stirnrunzelnd an, versuchte einen schlüpfrigen Gedanken festzuhalten. Ja, natürlich. Wo waren die anderen? Die Flucht würde leichter sein, wenn der Rest aus irgendeinem Grund verschwunden war. Aber da war noch eine andere, genauso nebelhafte Frage, die ihr jedoch immer wieder entglitt.
Plötzlich sprang das, was sich hinter den acht Aiel befand, förmlich in ihr Blickfeld, und die Frage und die Antwort kamen ihr gleichzeitig in den Sinn. Wo kamen die Gai’shain her? Etwa hundert Schritte entfernt floss ein stetiger, vom fallenden Schnee und ein paar vereinzelt stehenden Bäumen leicht verdeckter Strom von Menschen, Lasttieren, Wagen und Karren vorbei. Nein, kein Strom. Eine Flut von Aiel auf der Reise. Statt mit hundertfünfzig Shaido musste sie sich nun mit dem ganzen Clan auseinandersetzen. Es erschien ihr unmöglich, dass so viele Menschen nur einen oder mehrere Tagesmärsche von Abila entfernt vorbeireisen konnten, ohne einen Alarm auszulösen, selbst in einem Land, in dem Anarchie herrschte, aber der Beweis lag vor ihren Augen. In ihrem Inneren fühlte sie sich wie betäubt. Vielleicht würde die Flucht ja dennoch nicht schwieriger durchzuführen sein, aber sie glaubte es nicht.
»Wieso haben sie mich beleidigt?«, fragte sie stockend und schloss dann den Mund, um ihre Zähne am Klappern zu hindern. Und öffnete ihn wieder, als ihr der Gai’shain den Becher reichte. Sie schluckte die kostbare Wärme, würgte, zwang sich zu langsameren Schlucken. Der Honig war so dick, dass er zu einem anderen Zeitpunkt ekelhaft geschmeckt hätte, aber jetzt dämpfte er ihren Hunger ein wenig.
»Ihr Feuchtländer wisst auch gar nichts«, sagte der Narbige abschätzig. » Gai’shain erhalten keine Kleidung, bis man ihnen die richtigen Gewänder geben kann. Aber sie fürchteten, ihr würdet erfrieren, und sie hatten nur ihre Mäntel, um euch zu wärmen. Man hat euch beschämt, als schwach bezeichnet, falls man Feuchtländer beschämen kann. Rolan und viele der anderen sind Mera’din , aber Efalin und der Rest hätte es besser wissen sollen. Efalin hätte es nicht erlauben dürfen.«
Beschämt? In Wut versetzt traf wohl eher zu. Faile wollte den Kopf nicht von dem gesegneten Becher abwenden, also verdrehte sie die Augen, bis sie den Riesen sehen konnte, der sie wie einen Sack Korn getragen und sie gnadenlos geschlagen hatte. Sie glaubte sich vage zu erinnern, dass sie diese Schläge auf den Hintern willkommen geheißen hatte, aber das war unmöglich. Natürlich war es unmöglich! Davon abgesehen, sah Rolan nicht wie ein Mann aus, der fast einen ganzen Tag und eine Nacht ohne Rast gelaufen war und dabei jemanden getragen hatte. Sein Atem, der in der Luft zu weißem Dampf erstarrte, ging ganz ruhig. Mera’din? Hieß das nicht Bruderlos in der Alten Sprache? Das sagte ihr nichts, aber in der Stimme des Gai’shain hatte eine Spur von Verachtung gelegen. Sie würde Bain und Chiad fragen müssen und hoffen, dass das nicht zu jenen Dingen gehörte, über die Aiel nicht mit Feuchtländern sprechen konnten, nicht mal mit Feuchtländern, die enge Freunde waren. Jede noch so geringe Information konnte bei der Flucht helfen.
Also hatten sie ihren Gefangenen wegen der Kälte etwas angezogen? Nun, wären Rolan und die anderen nicht gewesen, hätte keiner in der Gefahr geschwebt zu erfrieren. Doch vielleicht schuldete sie ihm ja einen kleinen Gefallen. Einen sehr kleinen, alles in allem betrachtet. Vielleicht würde sie ihm nur die Ohren abschneiden. Falls sie jemals dazu die Gelegenheit erhielt, umgeben von Tausenden von Shaido. Tausende? Die Shaido zählten Hunderttausende und Zehntausende davon waren Algai’d’siswai . Wütend auf sich selbst kämpfte sie gegen ihre Verzweiflung an. Sie würde fliehen; sie alle würden fliehen, und sie würde die Ohren dieses Mannes mitnehmen!
»Ich sorge dafür, dass Rolan so dafür entschädigt wird, wie er es verdient«, murmelte sie, als der Gai’shain den Becher wegnahm, um nachzufüllen. Er schenkte ihr einen misstrauischen Blick, und sie beeilte sich zu sagen: »Wie Ihr gesagt habt, ich bin eine Feuchtländerin. Das sind die meisten von uns. Wir folgen Ji’e’toh nicht. Euren Bräuchen zufolge dürfte man uns gar nicht zu Gai’shain machen, ist das nicht so?« Der
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