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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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mit routiniertem Blick ihre Fesseln und konstatierte, daß sie seinen Ansprüchen mehr als genügten.
    «Möchten Sie einen Drink?» fragte sie, als sie einander in ihrem kleinen, aber sehr geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer gegenübersaßen.
    «Äh, nein. Ich glaube, lieber nicht.»
    «Sie meinen, Sie haben schon genug?»
    «Merkt man es mir an?»
    Sie nickte, und ein kleines Lächeln spielte um ihre Lippen. «Daran, wie Sie das aussprechen. Es ist komischerweise immer das , das Schwierigkeiten macht, wenn man zuviel getrunken hat — oder wenn man gerade ein Gebiß bekommen hat.»
    Morse blickte auf ihren Mund mit den zwei Reihen kräftiger weißer Zähne und fragte in spielerischem Ton: «Wer hat Ihnen denn das erzählt?»
    «Das brauchte mir niemand zu erzählen. Ich trinke auch manchmal zuviel.»
    Morse nickte. Das Gespräch bewegte sich auf einer Ebene zwangloser Vertrautheit, die ihm nur recht sein konnte. Doch sie war auf der Hut.
    «Und jetzt möchte ich wissen, warum Sie gekommen sind», sagte sie bestimmt.
    Morse erklärte es ihr, und sie hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Ab und zu schlug sie die Beine übereinander, nicht ohne jedesmal gleich züchtig den Saum ihres Bademantels wieder nach unten zu ziehen, eine Geste, die Morse leicht irritierte. Einer Pfarrersgattin beim Gemeindetee hätte sie gut angestanden, bei ihr jedoch wirkte sie aufgesetzt. Er war sich, gleich als er sie neben Mrs. Price in der Tür hatte auftauchen sehen, sicher, vor sich zu haben und fand diese Vermutung jetzt bestätigt, als sie eine schäbige alte Handtasche heranzog und er in der rechten unteren Ecke die beiden verkratzten Messingbuchstaben sah: W. S.
    «Möchten Sie eine Zigarette, Inspector?»
    Morse griff in seine Jackentasche, um sein eigenes Päckchen herauszuholen, aber offenbar hatte er es im Pub liegen lassen.
    «Hier, nehmen Sie doch von mir.» Sie reichte ihm ihre Packung.
    «Sie sind außerordentlich liebenswürdig», hörte er sich sagen, und es war mehr als nur eine Floskel.
    Er hatte das Gefühl, als habe sie instinktiv gespürt, daß er einen geheimen Kummer hatte, denn ihre Stimme hatte eben sanft, beinahe mütterlich geklungen. Während sie sich vorbeugte, um ihm Feuer zu geben, öffnete sich ihr Bademantel, so daß er den Ansatz ihrer Brüste sehen konnte, aber es schien ihr egal zu sein. Sie setzte sich wieder, nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und erzählte ihm dann ihre Seite der Geschichte.
    Vor einigen Wochen sei Bert Gilbert morgens in der Sauna aufgetaucht, in der sie arbeite. Er sei — anders als die Kunden sonst — sehr anmaßend aufgetreten und habe sie gefragt, ob sie bereit sei, etwas für ihn zu tun, gegen Bezahlung natürlich. Sie habe eingewilligt, und am nächsten Abend sei er zu ihr gekommen und habe ihr die Einzelheiten erläutert. Was das gewesen sei, darauf brauche sie wohl nicht näher einzugehen, das wisse er ja offenbar schon. Auch als ihr Auftrag schon erledigt gewesen sei, habe er sich noch weiter mit ihr treffen wollen und ihr teure Geschenke gemacht; anscheinend habe er geglaubt, er sei in sie verliebt. Eines Tages sei er dann damit herausgerückt, sie solle ihre Arbeit aufgeben, er wolle für sie beide eine Wohnung suchen und mit ihr zusammenziehen. Sie habe jedoch unabhängig bleiben wollen und habe ihm den Laufpaß gegeben. Alles in allem habe sie sich des Eindrucks nicht erwehren können — das habe sie ihm auch gesagt — , daß er das typische Beispiel eines Mannes sei, der angesichts des Alters in Torschlußpanik gerät und nun ganz schnell noch etwas Neues anfangen will.
    Morse nickte. «Wie lautet Ihr wirklicher Name?» fragte er.
    Sie sah verlegen zu Boden. «Ich geniere mich immer, meinen Vornamen zu nennen. Ich heiße Winifred — Winifred Stewart.»
    «Hm.» Er hätte sie gern getröstet, doch er wußte nicht, was er sagen sollte; der Name war wirklich ziemlich scheußlich.
    «Und wie heißen Sie?»
    «Morse.»
    «Ihren Vornamen wollen Sie mir nicht nennen?»
    «Nein.»
    «Wenn das so ist, dann können Sie vermutlich nachempfinden, wie sehr ich unter meinem Vornamen schon gelitten habe.» Sie lächelte.
    Er nickte stumm.
    «Möchten Sie jetzt vielleicht doch einen Drink? Ich glaube, Sie sind schon fast wieder nüchtern.»
    Er wußte selbst nicht, was ihn trieb, die Frage zu stellen: «Haben Sie viele Männer?»
    «Nein, dazu bin ich zu teuer. Es gibt nur wenige, die sich mich leisten können.»
    «Sie verdienen viel Geld?»
    «Mehr
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