Das Rätsel der Fatima
Rattenfänger begonnen hatte, auf seiner Flöte zu spielen. Ohne über Anstand und Höflichkeit nachzudenken, verlangsamte Beatrice wieder ihre Schritte, um – wenigstens für eine Weile – dem Wohlklang des ihr bekannten Dialekts zu lauschen.
»…hat mir geschrieben. In dem Brief deutete er an, dass der Mann etwas ahnt«, sagte der Araber gerade. »Sein Vater hat es ihm gegenüber erwähnt. Ich kann mir zwar nicht erklären, wie es dazu kommen konnte, aber…«
»Tatsächlich?«, unterbrach ihn der andere. »Du warst nicht unvorsichtig?«
»Allerdings habe ich schon immer gewusst, dass man ihn nicht unterschätzen darf«, fuhr der Araber fort, ohne auf die Worte des anderen einzugehen. »Der Kerl ist viel klüger, als er auf den ersten Blick zu sein scheint. Hinter der Fassade des älteren, freundlichen und harmlosen Mannes verbirgt sich ein scharfer Verstand. Er hat Kenntnis über Dinge, die er eigentlich nicht wissen sollte. Und deshalb brauchen wir jetzt deine Hilfe, mein Freund.«
»Ich weiß«, erwiderte der andere Mann und nickte. Er sprach mit starkem Akzent. »Ich habe schon lange gewusst, dass es dazu kommen würde. Die Zeichen waren überall so deutlich, dass jeder Narr sie hätte lesen können. Aber sei unbesorgt. Es gibt genügend Mittel und Wege…« Er lachte leise, ein Geräusch, bei dem Beatrice ein Schauer über den Rücken lief. »Ich habe sogar schon eine Idee. Ich schätze, deine Erwartungen werden nicht enttäuscht werden. Es bedarf natürlich einiger Vorbereitungen, wir dürfen nichts überstürzen. Wie du weißt, lauern die Spione überall. Gedulde dich noch eine Weile. Ich werde dir eine Nachricht schicken, sobald alles bereit ist. Und wenn dieses Problem gelöst ist, können wir uns endlich der großen Aufgabe widmen.«
»Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann«, sagte der Araber. »Hast du dir wegen der anderen Sache bereits etwas überlegt?« Der andere Mann schwieg, und so fuhr der Araber fort. »Und, ist es auch sicher?«
Sein Gegenüber schnaubte verächtlich. »Natürlich, sonst hätte ich es gar nicht erst in Erwägung gezogen.«
»Großartig! Kannst du mir mehr darüber erzählen?«
»Geduld, mein Freund, Geduld. Bald wirst du alles erfahren, was du darüber wissen musst«, sagte der Mann mit einer Stimme, die Beatrice erneut einen Schauer über den Rücken jagte. Es erinnerte sie fatal an eine der letzten Szenen aus dem Film Vermisst mit Kiefer Sutherland. Eine Einstellung später findet sich Kiefer Sutherland unter der Erde in einem Sarg wieder.
Ich wäre vorsichtig, wenn ich du wäre, dachte sie.
»Aber wir sollten nicht jetzt darüber reden«, fuhr der Mann fort. »Lass uns umkehren, bevor jemand aufmerksam wird.«
Der Araber nickte. »Du hast recht. Dschinkim wird mich bereits erwarten.«
Die beiden Männer blieben stehen. Noch schienen sie Beatrice nicht bemerkt zu haben. Und mit einem Mal war sie davon überzeugt, dass es besser wäre, wenn das auch so bliebe. Sie hatte das unerfreuliche Gefühl, dass sie sich sonst unter der Erde wiederfinden würde – eine Vorstellung, die ihr den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Hastig sah sie sich nach einem Versteck um. Da, links von ihr, nur etwa zwei Meter entfernt, befand sich eine Tür. Natürlich musste sie sehr schnell sein. Sollte die Tür allerdings verschlossen sein – nun ja, dann half wohl nur noch beten. Ohne noch mehr wertvolle Zeit mit Grübeleien zu vergeuden, huschte sie hin. Das Schicksal war gnädig, die Tür war offen, und Beatrice verschwand – unbemerkt, wie sie hoffte – in dem angrenzenden Raum.
Dschinkim stand am Fenster seines Audienzzimmers und starrte nachdenklich hinaus. Die Abenddämmerung setzte ein, und überall wurden Fackeln angezündet. Direkt vor ihm, zum Greifen nahe, lag der Platz, auf dem in der wärmeren Jahreszeit die Paraden und Reiterwettkämpfe zu Ehren des Großen Khans stattfanden. Hier brannten in den lauen Sommernächten die Feuer, an denen sich Khubilais Untertanen versammelten, um sich die Geschichten der Ahnen zu erzählen und die schönen alten Lieder zu singen über Liebe und Tod, die Weisheit der Götter und die ruhmreichen Taten der Helden. Tagsüber wärmte die Sonne die fest gestampfte, duftende Erde auf, und der selbst an windstillen Tagen deutlich spürbare Luftzug brachte wohltuende Abkühlung. Nachts stand über dem Platz der klare Sternenhimmel und sandte Grüße von den Göttern ihrer Ahnen. Im Frühjahr und Herbst, wenn der Wind mit den
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