Das Rätsel der Rückkehr - Roman
Situation von einem,
der wieder lernen muss, was er schon weiß,
von dem er sich aber inzwischen hat befreien müssen.
Ich gestehe, es ist einfacher
zu lernen, als wieder zu lernen.
Am Schwierigsten ist aber immer noch,
das Verlernen.
Der blinde Bogenschütze
Über ihren Lärm ist die Karibik
in mich gedrungen.
Ich hatte den Krach vergessen.
Diese schreiende Menge.
Dieses Übermaß an Energie.
Die Stadt der Bettler und der Reichen
steht auf, bevor es Morgen wird.
Man findet eine solche Energie
auch in der Bauernmalerei,
wo der Fluchtpunkt
sich nicht im Hintergrund befindet,
sondern im Solarplexus dessen,
der das Bild ansieht.
Betrachtet man die Marktszenen
bei irgendeinem Maler auf der Straße,
hat man nicht den Eindruck in den Markt
einzudringen, sondern eher, dass der Markt
in dich eindringt, dich berauscht
mit seinen Düften und Aromen.
Daher weicht man zurück
vor den knalligen Primärfarben der Bilder.
Dafür, dass man früher stirbt als anderswo,
ist das Leben hier intensiver.
Jeder trägt in sich die gleiche Menge
an Energie, die er verbraucht.
Brennt die Flamme stärker,
dann ist die Zeit, in der sie brennt,
kürzer.
Hinter mir die blauen Berge,
die die Stadt umgeben.
Und der sich rosig färbende Morgenhimmel.
Ein Mann schläft noch
unter einem Laster voller Melonen.
In den internationalen Medien
erscheint Haiti immer kahl.
Dabei sehe ich Bäume überall.
Ehrlich gesagt, hasste ich als Kind die Bäume
so sehr, dass ich alles asphaltieren wollte.
Die Leute wollten immer wissen, warum ein Kind
Bäume nicht mag.
Ich dachte, sie blickten auf mich herab.
Zwei Leichenwagen begegnen sich
auf der staubigen Straße
am Fuß des Berges.
Beide bringen ihren Kunden
zu seinem Termin.
Das letzte Taxi ist das teuerste.
Der Tod, der blinde Bogenschütze,
arbeitet am Mittag und um Mitternacht.
Zu viele Leute in dieser Stadt,
als dass er auch nur einmal
sein Ziel verfehlte.
Ich müsste nur das Gerücht streuen,
ich sei wieder dorthin zurückgekehrt,
ohne genauer zu sagen, wohin,
damit man in Montréal denkt,
ich bin in Port-au-Prince,
während man in Port-au-Prince sicher ist,
ich bin noch in Montréal.
Tod würde bedeuten,
mich in keiner der beiden Städte zu befinden.
Verhungern auf einem naiven Bild
Ich steige gern auf den Berg, früh am Morgen, um mir die luxuriösen Villen aus der Nähe anzusehen, die sehr weit auseinanderliegen. Kein Leben in der Gegend. Kein Geräusch, außer dem Wind in den Bäumen. In einer so eng besiedelten Stadt wirst du über den Raum, den du zum Leben hast, definiert. Bei meinen Wanderungen fand ich zufällig heraus, dass in den riesigen Anwesen nur die Dienstboten wohnen. Die Besitzer residieren in New York, Berlin, Paris, Mailand oder sogar Tokio. Wie zu den Zeiten der Sklaverei, als die wahren Herren von Santo Domingo in Bordeaux, Nantes, La Rochelle oder Paris lebten.
Sie haben diese Häuser gebaut in der Hoffnung, dass ihre im Ausland studierenden Kinder zurückkehren werden, um das Familienunternehmen zu führen. Da letztere sich aber weigern, in das in Finsternis herabgesunkene Land zurückzukehren, ziehen die Eltern näher zu ihnen, und lassen sich in Weltstädten nieder, wo es ein Museum, ein Restaurant, eine Bibliothek oder ein Theater an jeder Straßenecke gibt. Das im Morast von Port-au-Prince eingesammelte Geld wird bei Bocuse oder in der Scala ausgegeben. Die Villen werden schließlich sündhaft teuer an Führungskräfte gemeinnütziger internationaler Organisationen vermietet, die eigentlich die Aufgabe hätten, das Land aus Armut und Überbevölkerung herauszuholen.
Die von den Hilfsorganisationen Gesandten kommen immer voll der guten Absichten in Port-au-Prince an. Nicht-religiöse Missionare, die dir offen in die Augen blicken, während sie ihr Programm christlicher Nächstenliebe herunterbeten. Sie verbreiten sich in den Medien über Veränderungen, die sie einführen wollen, um das Elend der armen Leute zu lindern. Das dauert genau so lange wie ihre erste Runde durch die Slums und Ministerien, um sich einen Eindruck von der Situation zu verschaffen. Sie kapieren derart schnell die Spielregeln (sich von einem Schwarm Dienstpersonal bedienen zu lassen und einen Teil des Geldes für das von ihnen geleitete Projekt in die eigene Tasche zu stecken), dass man sich fragt, ob ihnen das im Blut liegt – der Kolonialismus, neu aufgelegt. Wenn man sie mit ihrem ursprünglichen Vorhaben konfrontiert, erwidern sie,
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