Das Rätsel der Rückkehr - Roman
Haiti sei offensichtlich unfähig zur Veränderung. Zugleich prangern sie in der internationalen Presse weiter die Korruption im Lande an. Alle durchreisenden Journalisten wissen genau, dass man nur bei ihnen vorbeischauen und ein Glas an ihrem Pool trinken muss, um an solide Informationen von objektiven, ehrlichen Leuten zu kommen – wogegen die Haitianer bekanntermaßen nicht zuverlässig sind. Die Journalisten fragen sich nie, wie es kommt, dass diese Leute in solchen Villen leben, während sie angeblich doch hier sind, um den Verdammten dieser Erde zu helfen, dass es ihnen besser geht.
Haiti hat in seiner Geschichte
zweiunddreißig Staatsstreiche erlebt,
weil man zweiunddreißig mal versuchte,
die Verhältnisse zu ändern.
Offenbar ist das Interesse an den Militärs,
die putschen, größer,
als an den Bürgern, die
dieselben Militärs stürzen.
Der leise Widerstand bleibt unsichtbar.
Wenn dieses Land in einem gewissen Gleichgewicht ist,
liegt es daran, dass Unbekannte,
die im Schatten bleiben,
alles dafür tun,
um die Nacht zu verlängern.
Bei einem Stromausfall
leuchten in den Häusern
die erotisierten Körper.
Der einzige Energieträger, den dieses Land
in industriell nutzbarer Menge besitzt,
der zugleich fähig ist,
die demographische Kurve zum Steigen zu bringen.
Wenn man in dieser Stadt landet, die an einem türkisen Meer liegt und von blauen Bergen umgeben ist, fragt man sich, wie lange es noch dauert, bis dieser Traum in einen Alptraum umschlägt. In der Zwischenzeit muss man mit der Energie eines Menschen leben, der das Ende der Welt erwartet. Das habe ich von einem jungen deutschen Ingenieur, der seit zehn Jahren an der Ausbesserung der Nationalstraßen arbeitet.
Wir trinken ein Glas im Hotel Montana an der Bar. Wann haben Sie verstanden, dass die Hölle, von der wir sprachen, nicht Sie betrifft? Er hat mich lange angeschaut. Es war mein Vater, als er Ende des Jahres kam, um mit mir Weihnachten zu feiern, der mich darauf hingewiesen hat. Mein Vater war früher beim Militär. Von Berufs wegen betrachtet er die Dinge, wie sie sind, und spricht unverblümt aus, was er denkt. Was hat er Ihnen gesagt? Dass wir alle Schweine wären, in diesem luxuriösen, gut gesicherten Hotel zu wohnen und uns einzureden, wir hätten ein gefährliches und schwieriges Leben. Und dann? Nach zehn Jahren bin ich immer noch hier. Aber wenigstens mache ich mir nichts mehr vor. Sogar der Zynismus kommt gelegen, damit man nicht vor Scham krepiert.
Hier ist das Hauptquartier der internationalen Presse.
Ein hoch am Hang thronendes Hotel,
man sieht, was sich unten zusammenbraut,
im Siedekessel von Port-au-Prince,
ohne dass man sich wegbewegen muss.
Für die Details genügt es, das Lokalradio zu hören.
Die Bar ist bestens gerüstet, um einen Monat Belagerung
durchzustehen.
Schon eine Weile beobachte ich den Kameramann am Ende der Theke. Sein Arm liegt locker über seinem Arbeitsgerät. Ich gehe zu ihm in seine Ecke, denn ich mag Leute, deren Beruf das Hinschauen ist. Aber ich sehe nichts, sagt er mir. Ich sehe nur das, was ich gerade filme. Ich blicke in einen sehr engen Korridor. Die Leute hier sind unglaublich. Sie machen bei allem so begeistert mit. In meinem Beruf, da habe ich schon viele Länder besucht, aber das erlebe ich zum ersten Mal. Du bittest einen, dessen Familie umgebracht wurde, die Szene nachzustellen, und er spielt dir alles vor, noch dazu bemüht, es gut zu machen. Sogar den Mörder, du musst ihn nur fragen, und er spielt dir den Mörder. Hier zu arbeiten, ist eine Freude. Überall sonst wollen sie Geld dafür, hier nicht. Klar, Kollegen haben mir erzählt, dass Marktfrauen manchmal fürs Fotografieren was verlangen, aber nur, wenn sie dich unsympathisch finden. Da sind die Fotografen selber schuld, die nicht wissen, wie man vorgehen muss. Sie nehmen sich zu wenig Zeit. Hier darf man die Leute auf keinen Fall drängen. Sie haben ihre Würde. Sie merken sofort, ob sie respektiert werden, und wenn sie den Eindruck haben, sie sind einem egal, dann bringst du dich richtig in Gefahr, aber sonst ist es wirklich nett hier. Auch die Kulisse ist schön, nicht zu grün, sodass es nicht wie eine Postkarte wirkt, alles gefällt mir gut, ich kann mich nicht beklagen. Entschuldigen Sie, wenn ich so über das Land spreche, in dem Sie zu Hause sind. Ich bin nicht unempfänglich für das, was hier passiert, ich sehe die Armut und all das, aber ich spreche als Profi. Das ist übrigens in allen Berufen
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