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Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Titel: Das Rätsel der Rückkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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Moment funktioniert. Sobald wir die brennenden Reifen sehen, verschwinden wir unauffällig und sie bleiben unter sich. Sie beschießen sich gegenseitig im Glauben, wir wären noch in der Nähe. Glücklicherweise sind sie dumm, aber eines Tages werden sie es herausfinden. Sein gleichgültiger Ton hat mich erschreckt. Er scheint dem, was ihm passieren könnte, keinerlei Bedeutung beizumessen.
    Nur ein leises Lächeln deutet Befriedigung darüber an, wie es läuft. Aber ich weiß wirklich nicht, fährt er fort, warum sie sich so anstrengen, uns Steine in den Weg zu legen, denn keiner will bleiben. Wenn sie uns hier nicht mehr wollen, brauchen sie doch nur amerikanische Visa zu verteilen, dann leert sich diese Uni augenblicklich. Die heutigen Studenten scheinen mir noch verzweifelter als zu meiner Zeit. Dabei gab es damals immerhin Duvalier. Die Tontons Macoutes. Die schwarzen Jahre. Die blutrünstige Polizei eines barbarischen Regimes. Diese Bitterkeit heute rührt vielleicht daher, dass sie an einen Wandel glaubten, nach dem Abgang von Baby Doc. Nichts Schlimmeres als eine enttäuschte Hoffnung.
    Als ich noch in Port-au-Prince lebte, träumte ich immer davon, auf dem Campus zu wohnen. Meine Hauptbeschäftigung wären ständige Besuche der Bibliothek, wegen dieses Mädchens, das über den Sklavenhandel und seine Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft jener Zeit forscht. Ich würde wenig überzeugt die endlosen Diskussionen verfolgen, ausgelöst durch die Filme von Wajda und Pasolini, die der kleine Cine-Club ganz hinten im Garten zeigt. Dann der Vorwurf der Zensur gegen den Rektor, der
Deep Throat
für die unteren Semester verbietet. Und die wütenden Proteste gegen die Regierung, die die Filmrollen von
Der unsichtbare Aufstand
beschlagnahmen lässt. Der erste Kuss mit dem Mädchen aus der Bibliothek am Vorabend einer wichtigen Prüfung. Dabei ständig das Gefühl, zwischen ihr und meiner Zukunft wählen zu müssen. Und mit meinem Leben zu scheitern, egal wie ich mich entscheide.

Der alte Wind der Karibik
    Meine Mutter nimmt mich zur Seite,
    sie gibt mir ein kleines Foto,
    es zeigt meinen Vater mit meiner Schwester auf dem Schoß.
    Und ich stehe neben ihm.
    Meine Schwester weint.
    Mein Vater und ich machen das gleiche ernste Gesicht.
    Meine Mutter erzählt mir, das Foto sei von einem Freund meines Vaters, einem „Kampfgefährten“, aufgenommen. Sie hätten versucht, nochmal eines zu machen, um einen fröhlicheren Eindruck von diesem dennoch recht traurigen Moment festzuhalten. Mein Vater und der Freund waren nur auf einen Sprung vorbeigekommen, bevor sie wieder zu den Partisanen gingen. Doch meine Schwester hat den ganzen Nachmittag nicht aufgehört zu weinen.
    Die Stimme der Mutter war noch leiser geworden, als sie diese Erinnerungen erwähnte. Der Freund meines Vaters hieß Jacques. Ein so lebensfroher junger Mann. Er spielte Gitarre und tanzte sehr gern. Nach den Aufnahmen hat er mit meiner Mutter in der Küche getanzt, auf einen spanischen Schlager jener Zeit. Da Duvaliers Leute sie suchten, verließen sie uns wieder im Schutze der Dunkelheit. Kurz darauf hörte meine Mutter, Jacques war gefasst worden und im Gefängnis gestorben.
    Leute, die verschiedene politische Regimes erlebten, wechseln die Stimmung, je nachdem, ob sie gerade von einer glücklichen oder unglücklichen Zeit erzählen. Die glücklichen Zeiten haben, wie der tropische Regen, die Eigenheit, kurz und stark zu sein. Häufig folgen auf sie lange Tunnel, wo über Jahrzehnte kein Licht am Ende erscheint. Wenn meine Mutter die jungen Leute heute tanzen sieht, nach einem Wechsel des Regimes, wird sie traurig im Wissen, wie bald sie entmutigt sein werden. Und dass sie diesen Moment der Freude teuer werden bezahlen müssen. Aber ihr Spruch bleibt stets, „das hatten sie immerhin.“
    Meine Mutter sucht etwas in ihrem Schrank.
    Ganz hinten sehe ich
    ein großes Foto in Schwarz-Weiß
    von einem jungen Mann, der mir gleicht.
    Es ist das einzige Foto von ihnen beiden
    aus ihrer ersten Zeit.
    Wenn mir dieses Foto in die Hände fällt, sagt die Mutter,
    meine ich, mit meinem Sohn zusammen zu sein,
    und nicht mit meinem Mann.
    Als sie ihn zum letzten Mal sah,
    war er noch keine Dreißig.
    Meine Mutter fragt, wie ich dort überlebte. Die Frage hat mich überrascht, denn es ist das erste Mal, dass sie sich so nah an den Abgrund wagt. Es sieht so aus, als hätte ich es geschafft, aber meine Mutter interessiert sich nicht dafür, ob ich Erfolg habe oder

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