Das Rätsel der Templer - Roman
hatten. Mehrfach war es abendländischen Rittern gelungen, einige wenige von ihnen gefangen
zu nehmen und nach Franzien zu verschleppen. Doch selbst in der Sklaverei konnte man ihnen weder trauen, noch durfte man sie
aus den Augen lassen. Sie blieben unberechenbar.
»So, Bursche!«, stieß Gero schnaubend hervor. »Sag, was hast du hier im Haus einer allein stehenden Frau zu suchen.«
»Verdammt«, krächzte sein Gefangener, »sind Sie übergeschnappt oder was?« Mit weit geöffneten Augen stierte er auf die blitzende
Klinge. »He, machen Sie nur keinen Blödsinn … ja?«
»Mattes«, rief Gero, »hol die Frau!«
|336| Die Sonne brannte vom Himmel herab, und das leise Stimmengewirr, das Hannah in ihrem Traum umgab wie ein Vorhang aus schimmernden
Perlen, war dem Klang nach eine Mischung aus Spanisch und Französisch. Eine Kinderstimme schlich sich auf samtenen Pfoten
in ihr Unterbewusstsein. »Herrin …«
Herrin? Die morgendliche Novembersonne schmerzte in ihren Augen. Der blondgelockte Junge warf einen erlösenden Schatten auf
ihre Lider, als er sich über sie beugte und sie an der Schulter berührte.
»Was ist?«, stotterte Hannah unsicher, während Matthäus weiterhin an ihr zerrte.
»Mein Herr schickt mich«, sagte er unumwunden. »Da draußen ist ein gefährlicher Mamelucke, der mit seltsamer Sprache spricht.«
»Wie bitte?« Hannah warf einen hektischen Blick auf den silbernen, kleinen Funkwecker. Ohne einen weiteren Gedanken daran
zu verschwenden, was ein Mamelucke sein sollte, sprang sie aus dem Bett und stürmte barfuß, nur mit einem wadenlangen Flanellnachthemd
bekleidet, an Matthäus vorbei in Richtung Haustür.
Zwischen Garderobe und Eingangstür verharrte der allseits beliebte Bote des deutschen Paketdienstes, Ferhad Yildis, ein dreiundzwanzigjähriger
Deutscher türkischer Abstammung, kerzengrade im Flur, während Gero von Breydenbach ihm seinen Dolch an die Kehle hielt.
Hannah zwinkerte ungläubig, als sie das ungewöhnliche Gespann vor sich sah. Mindestens einmal in der Woche lieferte Ferhad,
der in Bernkastel-Kues geboren war und ein lupenreines Deutsch mit moselfränkischem Dialekt sprach, eine Büchersendung an
ihre Privatadresse.
»Was soll der Unsinn?«, rief sie aufgebracht und versuchte damit, ihrer Entrüstung Nachdruck zu verleihen.
Gero verlagerte für einen Moment seine Aufmerksamkeit, ohne Ferhad jedoch aus den Augen zu lassen.
»Er ist ein Mamelucke«, stellte er mit fachmännischer Miene fest, als ob es sich dabei um die Einschätzung einer speziellen
Hunderasse handelte. »Ich habe ihn gefragt, wer ihn schickt, und was er von dir will.« Der Templer straffte sich und wurde
noch ernster. »Sein Auftreten war unverschämt«, fuhr er mit strenger Miene fort. »Er hat mir diese seltsame Kiste unter die
Nase gehalten und irgendetwas von einer Unterschrift gefaselt.«
|337| Hannah folgte mit ungläubigem Entsetzen Geros Finger, der auf einen am Boden stehenden, hoffnungslos zerfetzten Pappkarton
hinwies.
»In meiner Heimat ist es nicht üblich, für etwas zu unterschreiben, das man nicht zu sehen bekommt. Somit habe ich die Kiste
aufgeschlitzt, damit ich sicher sein konnte, dass der Mamelucke nichts zu verbergen hat, womit er dir ein Leid zufügen kann.
Daraufhin ist er wütend geworden und hat mich beschimpft. Ich habe ihm gesagt, dass er Glück hat, wenn er sein ungehöriges
Verhalten nicht mit dem Leben bezahlen muss.« Geros Miene entspannte sich ein wenig, und seine Stimme nahm einen selbstgefälligen
Tonfall an. »Ich wollte es dir überlassen, ob wir ihn solange festhalten wollen, bis sein Herr ihn abholt und ihm die nötige
Strafe verpasst oder ob ich ihm hier vor Ort und vor deinen Augen eine Lektion erteilen soll.« Breitschultrig richtete er
sich auf.
»Nimm das Messer runter, sofort!« Hannahs Stimme war ruhig, und doch zitterte sie leicht.
Irritiert wich Gero ihrem unmissverständlichen Blick aus. Mit einem Kopfschütteln ließ er die furchteinflößende Waffe sinken
und ging auf Abstand zu seinem Opfer. Matthäus wechselte einen überraschten Blick mit seinem Herrn und schaute dann zu Hannah
auf, als ob es ihn irritierte, dass Gero so prompt ihrem Befehl folgte.
Dem jungen Paketboten entwich ein deutlicher Seufzer der Erleichterung.
»Ihr dürft euch entfernen«, zischte Hannah ihren beiden neuen Mitbewohnern zu und erntete dafür ungläubig Blicke, sowohl von
Ferhad als auch von den Angesprochenen.
In
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