Das Rätsel der Templer - Roman
eigentlich die Nase voll. Tom war mein letzter Freund, aber er dachte
nicht ans Heiraten. Ihm war seine Arbeit wichtiger als eine Ehefrau und Kinder.«
»Ist es hierzulande nicht normal, dass ein ehrenhafter Mann beides hat?«
»Ja doch.« Hannah lächelte wehmütig. »Aber bei Tom war es etwas anderes. Er ist mit seiner Aufgabe verheiratet. Da ist auf
die Dauer kein Platz für eine Frau.«
»Wie bei einem Mönchsritter«, sinnierte Gero.
Hannah war sich nicht sicher, wie diese Bemerkung gemeint war.
»Heutzutage gibt es keine Mönchsritter mehr«, erwiderte sie bestimmt und wusste selbst nicht, warum sie so etwas sagte. Wollte
sie ihn mit dieser Äußerung überzeugen, dass – wenn es ihm nicht möglich sein würde, in seine Zeit zurückzukehren – er getrost
sein Gelübde vergessen konnte?
»Erzähle mir etwas von den deutschen Landen.« Mit einem Mal lag eine kindliche Neugier in seinem Blick. »Es ist sicher sehr
viel anders als das Land, das Matthäus und ich zurückgelassen haben.«
»Ja, es hat sich wohl einiges geändert«, antwortete Hannah und fragte sich bereits, wie sie ihm in nachvollziehbarer Weise
die Geschichte der letzten siebenhundert Jahre erklären sollte.
Spät in der Nacht, nach einem endlos erscheinenden Fragemarathon, schlief sie an Geros Schulter ein.
Als sie erwachte, stellte sie erstaunt fest, dass er sie ins Bett getragen und neben Matthäus gelegt hatte. Nur die einzelne
Kerze auf dem Nachttisch brannte und warf gespenstisch lange Schatten an die gegenüberliegende Wand.
»Durst«, stammelte Matthäus. Einen Moment später sah Hannah, dass Gero mit einem Becher zur Stelle war. Vorsichtig benetzte
er die ausgetrockneten Lippen des Jungen mit dem Wasser, das Hannah neben dem Bett bereitgestellt hatte.
|372| Nachdem Gero den Becher wieder abgestellt hatte, berührte er die Stirn des Jungen mit Daumen und Zeigefinger und machte ein
Kreuzzeichen. Dann faltete er die Hände und schien stumm zu beten.
Hannah blinzelte und hob den Kopf.
»Schlaf ruhig weiter«, flüsterte er ihr lächelnd zu. »Ich werde wachen.«
23
Donnerstag, 18. 11. 2004 – Konfrontation
Ein Kitzeln an der Nase und der eigentümliche Geruch von verschwitztem Kinderhaar begleiteten Hannahs Erwachen. Vorsichtig
hob sie den Kopf. Matthäus hatte sich mit seinem Rücken dicht an sie gekuschelt, wie ein Welpe, der den Schutz des Muttertiers
sucht. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig, und seine Gesichtzüge waren entspannt. Sie streckte ihre Hand aus und hielt sie
dicht über seine Stirn.
Das Fieber musste zurückgegangen sein. Neugierig reckte sie den Hals.
Gero hatte sich – ohne Decke und bis auf die Stiefel komplett angezogen – auf den weichen Teppichfliesen niedergelassen und
schlief, halb auf dem Bauch liegend, den Kopf auf dem rechten Oberarm abgelegt.
Hannah erhob sich lautlos und schlich zur Tür. Eine heiße Dusche später, nur mit einem weißen Satinbademantel und einem Handtuchturban
bekleidet, öffnete sie die Terrassentür im Wohnzimmer und entließ den Kater ins Freie, der schon maunzend auf sie gewartet
hatte. Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete die kühle, feuchte Luft ein. Draußen war es noch dunkel und so neblig,
dass sie trotz der Außenbeleuchtung die unmittelbar hinter ihrem Haus liegenden Gemüsebeete nicht mehr erkennen konnte.
Auf dem Weg zurück in ihr Schlafzimmer zuckte sie schreckhaft zusammen, als Gero die Treppe herabstieg. Barfuß, mit freiem
Oberkörper und nur mit seiner Lederhose bekleidet, blieb er abrupt auf der untersten Stufe stehen und inspizierte sichtlich
überrascht ihre Aufmachung. Sein hellwacher Blick heftete sich an den leicht geöffneten Ausschnitt ihres Morgenmantels. Für
einen Moment hielt Hannah |373| den Atem an, so sehr fühlte sie sich von ihrem neuen Mitbewohner angezogen. Ihr Augenmerk richtete sich unwillkürlich auf
die zahlreichen Narben, die seine Muskeln zeichneten und ein Zeugnis davon gaben, dass er weit mehr durchlitten haben musste,
als er gestern Abend zögernd preisgegeben hatte.
Hannah gab sich als erste einen Ruck, um den peinlichen Moment gegenseitiger Betrachtung aufzuheben. »Matthäus geht’s besser?«,
stammelte sie.
»Ja, dank dem Allmächtigen und deiner Unterstützung«, antwortete er leise, ohne sie anzusehen, und Hannah spürte, dass er
noch etwas hinzufügen wollte, bevor er sich beinahe gewaltsam von ihrem Anblick löste. Doch er schwieg und verschwand kurz
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