Das Rätsel der Templer - Roman
Becher mit Tee in die Hand. »Es war nicht deine Schuld.«
»Danke«, sagte er nur und wandte sich Richtung Flur.
»Gehst du zu Matthäus?«
Er nickte.
»Lass mich das machen! Er braucht seine Medizin«, sagte Hannah und lächelte. »Und ein bisschen Trost.«
»Matthäus mag dich sehr. Du hast ein gutes Herz und bist eine schöne Frau.« Seine Stimme und die Art, wie er es sagte, reichten
aus, um Hannah aus dem Konzept zu bringen. Sie senkte ihre Lider und spürte, dass sie rot wurde.
Kurze Zeit später, nachdem sie den Penicillinsaft aus dem Kühlschrank geholt hatte, folgte sie ihm die Treppe hinauf und fragte
sich, warum sie plötzlich weiche Knie hatte.
Der Junge war wach und erstaunlich munter. Das Penicillin und der |382| Schlaf hatten wahre Wunder bewirkt. Fröhlich plapperte er vor sich hin, und sein Herr strahlte mit einem Mal.
Gero von Breydenbach hat offensichtlich zwei ganz verschiedene Seelen in seiner Brust, schoss es Hannah durch den Kopf. Sie
nahm neben Matthäus Platz und reichte dem Jungen sein Frühstück.
Nachdem Matthäus seinen Brei gegessen hatte, kuschelte er sich zurück in die Decke und blinzelte Gero an.
»Du hast es verdammt gut, Meister«, erklärte er lächelnd. »Gewöhne dich nicht zu sehr daran, sonst bist du enttäuscht, wenn
es wieder nach Hause geht.«
»Wenn es dir weiterhin so gut geht«, flüsterte Hannah, »und dein Herr meinem Vorschlag zustimmt, darfst du uns heute Abend
auf eine Einladung begleiten.«
»Wohin darf ich gehen?«, fragte der Junge mit einem naiven Augenaufschlag.
»Auf ein Fest«, sagte Hannah. »Mit Musik und Tanz und wahrscheinlich gibt’s auch was Gutes zu essen.«
Gero schenkte ihr einen interessierten Blick. »Was für ein Fest? Du hast nichts davon erwähnt?«
»Der Bruder von Judith hat eingeladen. Zunächst dachte ich, das ist nichts für uns, aber nach allem, was heute vorgefallen
ist, glaube ich, es wird Zeit, dass ihr ein wenig mehr von unserer Welt kennen lernt als diese vier Wände hier.«
24
Donnerstag, 18. 11. 2004 – Moderner Schwertkampf
Gero hockte verkehrt herum auf einem Stuhl. Mit verschränkten Armen hielt er die Stuhllehne umklammert. Staunend verfolgte
er jede Bewegung, die Hannah vollzog. Sie stand vor dem Esszimmertisch und wickelte einen Farn in buntes Geschenkpapier. Für
ihn stand fest, dass die Leute der Zukunft entweder verrückt waren oder allesamt unglaublich vermögend sein mussten. Topfpflanzen
mit bemaltem Papier zu umhüllen wäre ihm im Traum nicht eingefallen. Dafür war es viel zu kostbar.
|383| Als sie die Enden der kunstvollen Verpackung mit einem durchsichtigen klebenden Band fixierte, fehlte ihm zum wiederholten
Mal ein Vergleich mit seiner eigenen Realität. In dieser Welt war so vieles anders als in der seinen, wobei es allerdings
durchaus noch ein paar Kleinigkeiten gab, die sich der Heiligen Jungfrau sei Dank nicht verändert hatten. Still lächelte Gero
in sich hinein und bedachte Hannah mit einem forschenden Blick. Sein Augenmerk galt vor allem der weißen Spitzenbluse, die
sich über ihren anmutig gewölbten Rücken spannte, und wanderte weiter über ihre ansehnlichen Rundungen unter dem knöchellangen
Lederrock. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie wohl in einem Surcot aussehen würde oder – der Teufel sollte sich seiner
sündigen Seele annehmen, wenn sie vollkommen nackt war …
Hannah drehte sich zu ihm um, und er fühlte sich ertappt. Abrupt stand er auf, als ob er die Flucht ergreifen wollte. Vielleicht
war er doch des Wahnsinns, und der Leibhaftige hatte längst von seiner armen Seele Besitz ergriffen. Wie sonst war es zu erklären,
dass er seine Gastgeberin mehr und mehr begehrte? Ihr süßer Leib ging ihm nicht mehr aus dem Sinn, und das Bedürfnis, sie
in seine Arme zu schließen, wurde fast übermächtig.
»Findet das Fest hier in der Nähe statt?«, fragte Gero beiläufig, während er sich der gläsernen Terrassentüre zuwandte. Draußen
war es bereits dunkel, und in seiner Zeit war es nicht üblich, dass man einen längeren nächtlichen Fußweg auf sich nahm, wenn
es nicht unbedingt sein musste.
»Nein, vielleicht eine viertel Meile«, antwortete sie mit ein wenig Stolz in der Stimme. Kaum jemand wusste heute noch, dass
eine Meile im Mittelalter einen Weg von zehn bis zwölf Kilometer bedeutet hatte und man damals dafür mit dem Pferd ungefähr
eine Stunde Reisezeit ansetzte. »Aber wir nehmen ohnehin den Wagen.«
Die
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