Das Rätsel der Templer - Roman
stoßen wollen.
Die Flammen waren unerbittlich, und die abwehrenden Bewegungen des Bruders taten ihr übriges, weshalb es Gero nicht gelingen |495| wollte, den Bruder zu retten. Noch bevor die letzte Flamme erstickt war, starb Rowan elendig vor seinen Augen.
Fassungslos starrte Gero auf den Leichnam. Allmächtiger, was hab ich getan? schoss es ihm durch den Kopf.
Keuchend wandte er sich um und betrachtete im schwachen Widerschein der am Boden liegenden Fackel das Haupt, das sich inzwischen
abgeschaltet hatte und nun wie unberührt dalag.
Ohne Frage hatte Gero das unrühmliche Vorhaben des Hohen Rates vereitelt, aber gleichzeitig auch den Fortbestand seines Ordens
ernsthaft gefährdet. Dabei vermochte er sich kaum vorzustellen, dass Henri d’Our es zulassen würde – wenn auch in ferner Vergangenheit
–, einer unschuldigen Frau und ihrem ungeborenen Säugling auf grausame Weise das Leben zu nehmen, nur um die Ziele des Ordens
durchzusetzen.
Vielleicht hatte d’Our vom eigentlichen Vorhaben des Hohen Rates der Templer nicht gewusst. Wie sonst hätte er Gero für eine
solche Aufgabe auswählen können? Dem Komtur war bestens bekannt, unter welch furchtbaren Umständen er selbst Frau und Kind
verloren hatte.
Erschöpft zog Gero die Leiche, deren verkohlte Arme in einer unnatürlichen, überkreuzten Haltung verharrten, hinter den Granitblock.
Mit einem Mal erinnerte er sich an jenen Augenblick, als er den Toten siebenhundert Jahre später als Skelett gesehen hatte.
»Friede sei mit dir und deiner Seele, mein Bruder«, murmelte er. »Die Kammer wird dir ein würdiges Grabmal sein.«
Nach kurzer Überlegung entschied Gero, das Haupt an sich zu nehmen. In der momentanen Lage würde ihm gar nichts anderes übrig
bleiben, als nach d’Our zu suchen. Der Komtur von Bar-sur-Aube war das einzige Mitglied des Hohen Rates,das Gero persönlich
kannte. Er war sicher, dass d’Our, sofern er noch lebte, sehr wohl in der Lage sein würde, eine weise Entscheidung zu treffen,
was weiter mit dem Haupt zu geschehen hatte, und dass er darüber hinaus Hannah und Anselm helfen konnte, in ihre Zeit zurückzugelangen.
Vorsichtig rollte er es in seinen Habit ein.
Es war nicht Gero, der, wie erhofft, das Zimmer betrat, sondern der junge Zisterzienser, der Hannah ein scheues Lächeln zuwarf,
als er in die Hocke ging, um mit seiner linken Hand den frisch gereinigten |496| Nachttopf abzusetzen. In der Rechten balancierte er ein hölzernes Tablett mit einem Zweiliterkrug aus rostrotem Steingut,
gefüllt mit Weißwein, und vier Bechern. Daneben lag ein Laib Brot und etwas Käse. Das Tablett setzte er auf einem kleinen
Beistelltisch ab. Bevor er Hannah und den anderen eine gesegnete Nacht wünschte, brachte er sogar noch ein Weidenkörbchen
mit reifen Äpfeln. Dann verließ er den Raum, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Das Öllicht in der Messingschale neben dem Weinkrug sorgte für eine spärliche Beleuchtung. Das Flackern des Flämmchens zeigte
an, dass von irgendwoher ein Luftzug ins Zimmer strömte.
»Wo bleibt Gero nur?«, stöhnte Hannah, während sie sich beunruhigt im Zimmer umschaute. Das einzige Fenster im Raum besaß
keine Verglasung, sondern nur ein Lederrollo und hölzerne Klapptüren, die man von innen verschließen konnte.
Wie unter Zwang erhob sie sich.
»Was machst du da?«, fragte Anselm alarmiert. Er hatte, das Schwert fest in der Hand, auf einem Stuhl Platz genommen.
»Ich will nachsehen, ob das Fenster verschlossen ist«, antwortete Hannah, während sie eingehend den Riegel inspizierte. »Fehlte
noch, dass hier jemand ungebeten einsteigt.«
Als sie zum Bett zurückkehrte, schnitt sie etwas Brot und Käse ab und gab es an Matthäus weiter, dem anzusehen war, dass er
sich ebenfalls fürchtete. Während der Junge noch vorsichtig an seinem Wein nippte, stand mit einem Mal Gero in der Tür, rußgeschwärzt
und mit Blut beschmiert.
Hannah sprang erschrocken auf und lief zu ihm hin. »Um Himmels willen, was ist mit dir geschehen?«
Anselm erhob sich, wobei er das Schwert noch entschlossener hielt als zuvor.
»Macht euch keine Gedanken«, erwiderte Gero leise. »Mir geht es gut.«
»Das sehe ich«, entgegnete Hannah tonlos, wobei ihr Blick auf Geros Unterarm fiel, den er fest mit einem schmutzigen Fetzen
Stoff umwickelt hatte, der bereits durchgeblutet war. Rasch sah sie sich um. Über einem Gestell neben einer Waschkommode lag
ein sauberes Leinenhandtuch.
|497| »Du
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