Das Rätsel der Templer - Roman
Einblick zuließ, und am liebsten hätte sie angesichts eines derart gaffenden Publikums einen Schleier angelegt. Freya jedoch
hatte lediglich ein perlenbesticktes Netz zugelassen, das in bestechender Schönheit Hannahs kastanienfarbene Locken bändigte.
Im Auftrag des Vogtes ging Hannah herum und bot den bereits angetrunkenen Gästen kandiertes Obst auf einer Zinnplatte an.
Dabei musste sie es sich wohl oder übel gefallen lassen, dass der ein oder andere Soldat ihr an den Hintern packte oder ihre
Brust berührte. Hier und da raunte man ihr zischende Bemerkungen zu, und sie sah es als einen glückliche Fügung an, dass sie
nichts davon verstand.
Der Abend verging wie im Flug, und selbst die sanften Balladen, die Gero von Zeit zu Zeit vortrug, um die Gemüter zu besänftigen,
fanden den Beifall des Publikums.
Um die Laune der ihm anvertrauten Männer noch weiter zu heben, hatte der Burgvogt zu Ehren des heiligen Martin Dutzende von
Gänsen schlachten lassen, die seit dem Nachmittag an überdimensionalen |626| Spießen vor sich hin brutzelten. Zwischen den einzelnen Vorstellungen verteilten diensteifrige Pagen Brot und Fleisch an die
ausgelassene Menge.
Während Gero und Johan dazu angehalten wurden, weitere Stücke für einen Tanz aufzuspielen, näherte sich einer der braunschwarz
gewandeten Soldaten Freya, die nach ihrem letzten Auftritt noch ganz außer Atem war, um ihr einen Becher Wein anzubieten.
Er war ein gut aussehender Kerl, wie Hannah befand. Vielleicht Mitte Zwanzig, aber das Alter war in dieser Zeit ohnehin schwierig
zu schätzen.
»Madame«, sagte er und lächelte Freya charmant an. Freya lächelte strahlend zurück, offensichtlich erfreut darüber, dass ihr
vermeintliches Opfer einen solch angenehmen Anblick bot. Der junge Mann beugte sich vertraulich zu ihr hinab, schob galant
ihre rote Mähne beiseite und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Hannahs Blick fiel auf das lockige, kinnlange Haar des Soldaten, und sie wurde unvermittelt an Tom erinnert. Immer wieder
stellte sie sich die Frage, wie es ihm und Paul ergangen war und ob die beiden nach Möglichkeiten suchten, sie und Anselm
zurückzuholen.
Lächelnd erwiderte Freya etwas und zeigte auf Hannah. Da erst wurde der Soldat auf sie aufmerksam. Er grinste breit und nahm
zwei Finger zwischen die Lippen. Dann wandte er sich um. Ein Pfiff, der sogar die Musik übertönte, erklang, worauf einige
umherstehende Männer auf ihn aufmerksam wurden. Mit einer Art Zeichensprache verständigte er sich lautlos über die Köpfe der
anderen Anwesenden hinweg, und ein groß gewachsener blonder Mann löste sich aus einem Pulk von Uniformierten.
Freya unterhielt sich einen Augenblick mit beiden Männern, und offensichtlich wurde man sich einig. Kurz darauf stellte sie
die beiden erwartungsfroh wirkenden Soldaten Hannah vor.
»Das sind Pierre und Michel«, erklärte sie ungerührt. »Michel stammt aus Lothringen«, fuhr sie fort und deutete mit einem
Nicken auf den blonden Kerl, der Hannah aus eng zusammenstehenden Augen anstarrte. »Er spricht die Sprache der deutschen Lande.
Die beiden sind Hauptleute der Gens du Roi«, erklärte sie weiter, in einem gewichtigen Tonfall, der wohl die Bedeutung der
beiden Männer herausstellen sollte.
|627| Wenig später fand Hannah sich am Ausgang wieder, den zweiten Becher Wein in der Hand. Michel redete unaufhörlich auf sie ein,
und ohne zu antworten, sah sie sich hilfesuchend nach Gero um, der viel zu weit weg und zudem zu beschäftigt war, um ihre
Blicke zu bemerken.
Eigentlich machte ihr Gesprächspartner einen netten Eindruck – wenn er ihr nicht stetig näher gerückt wäre und seine Finger
hätte bei sich behalten können.
Fassungslos sah Hannah mit an, wie Freya es hinter einem Mauerwinkel zuließ, dass Pierre ihren Hals mit Küssen bedeckte. Lachend
löste sie sich von ihrem Verehrer und flüsterte ihm etwas zu.
»Wir haben uns entschieden, einen Spaziergang zu machen«, erklärte Freya aufgekratzt, nachdem sie ihren Begleiter zu Hannah
hingezogen hatte. Während Pierre sich mit Michel unterhielt, nutzte Freya die Gelegenheit, Hannah über ihr Vorhaben aufzuklären.
»Mach dir keine Gedanken«, flüsterte sie ihr zu. »Ich habe erreicht, was ich wollte. Er zeigt mir das Verlies.«
»Lass mich nicht allein zurück«, erwiderte Hannah unruhig.
»Mach dir keine unnötigen Sorgen«, murmelte Freya beschwörend. »Es muss sein. Ansonsten wüsste ich nicht, wie wir
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