Das Rätsel Sigma
ihn verdutzt an.
„Lassen Sie den Kopf vornübersinken, bis die Stirn ungefähr hier liegt!“ assistierte Leif und zeigte auf die Kante, an der er vorhin beim anderen Pult die Blutspuren festgestellt hatte.
„Behalten Sie aber die Hände an den Knöpfen!“ setzte Herbert hinzu.
Jetzt verstand der Leiter. Langsam senkte sich sein Kopf.
„So, und jetzt lassen Sie die Hände kraftlos abrutschen!“
Die rechte Hand des Leiters, von allen aufmerksam beobachtet, rutschte langsam das Pult hinunter, wischte am Knopf des Ionisators vorbei und drehte ihn rechtsherum.
„Danke“, sagte Herbert, „dann ist ja alles klar. Die Ionisation war nicht Ursache, sondern Folge des Schlafs.“
„Ich habe den Ionisator aufgedreht, wie?“ fragte der Leiter und begann, ohne die Antwort abzuwarten, zu schimpfen. „Diese verfluchte Knopfregulierung! Ich war schon immer dagegen, aber auf die Praktiker wird ja nicht gehört…“
„Um Himmels willen“, stöhnte Leif mit komischem Entsetzen, „Knopf gegen Taste! Ganze Generationen von Ingenieurpsychologen haben darüber schon ihre Diplomarbeiten geschrieben!“
„Hör mal“, sagte Herbert, um einem längeren Disput vorzubeugen, „die eingeschlafene Kollegin muß sofort ins Kreiskrankenhaus. Ich werde mitfahren. Sei doch bitte so gut und kläre inzwischen die Frage mit der fehlenden Stunde, ja?“ Und dann faßte er sich plötzlich mit der Hand an den Kopf. „Halt!“ rief er. „Der Fall heute nacht – genau so muß er sich abgespielt haben! Der Mann wurde plötzlich müde, taumelte, versuchte sich festzuhalten, erwischte ein paar Tasten der Schaltung…“
„Heute nacht?“ fragte Leif verdutzt. „Ach so, dieser Unfall?“
„Komm“, sagte Herbert, „das müssen wir uns ansehen!“
„Junge, Junge“, murmelte Leif, „jetzt wird's mir aber auch langsam unheimlich!“
Der Chefarzt schien nervös und abgespannt zu sein. Herbert wunderte das nicht, der Mann hatte sicherlich nicht mehr geschlafen als er selbst, war aber bedeutend älter.
„Ich habe wenig Zeit“, sagte Dr. Knabus. „Was Sie mir berichten wollen, weiß ich schon. Die neuen Fälle in der Stadt und zugleich im Kernkraftwerk bestärken mich in der Annahme, daß es sich um ein Virus handelt, das das Nervensystem angreift. Wenn Sie etwas Nützliches tun wollen, dann erforschen Sie die Kontakte zwischen den Erkrankten. Es muß solche Kontakte gegeben haben. Das Virus selbst ist schwerer zu finden, aber vielleicht finden wir den Infektionsweg heraus und können die Sache von dieser Seite unter Kontrolle bringen.“
Er hatte ziemlich schnell und entschieden gesprochen und nickte nun, als wolle er Herbert damit verabschieden.
„Vielleicht informieren Sie mich noch kurz darüber, was Sie jetzt unternehmen?“ fragte Herbert.
„Ja, gut. Erstens: Ich habe eine Rundfrage im ganzen Bezirk anstellen lassen, es gibt nirgends vergleichbare Fälle, nur bei uns in Neuenwalde. Zweitens: Ich organisiere die Quarantäne. Heute abend werden alle unmittelbaren Kontaktpersonen der Erkrankten eingewiesen sein. Drittens: Ich erwarte jeden Augenblick einen leitenden Mitarbeiter des Ministeriums.“
„Wissen Sie schon wen?“ fragte Herbert.
„Für überflüssige Rückfragen fehlt mir die Zeit“, sagte der Chefarzt unfreundlich.
In diesem Augenblick rief die Anmeldung durch: „Herr Chefarzt – hier kommt Frau Doktor Monika Baatz vom Ministerium für Gesundheitswesen, sie ist auf dem Wege zu Ihnen. Sie hat ausdrücklich gebeten, daß ich sie anmelde.“
Herbert wunderte sich ein bißchen, daß diese Nachricht den Chefarzt so beeindruckte. Er saß wie versteinert da. Erst nach einer ganzen Weile sagte er mühsam: „Dann bleiben Sie vielleicht doch besser noch hier, Herr Lehmann!“
Das muß ja ein rechter Drachen sein, dachte Herbert, wenn sogar dieser herrische Chefarzt vor ihr solchen Respekt hat. Er wurde jedoch angenehm enttäuscht. Die Frau, die nach kurzem Anklopfen das Zimmer betrat, wirkte sehr sympathisch auf ihn.
„Wir haben uns lange nicht gesehen, nicht wahr?“ sagte sie zu Dr. Knabus. Dann, ohne Erwiderung abzuwarten, wandte sie sich an Herbert und fragte: „Und Sie sind sicherlich Herr Lehmann vom Umweltschutz?“ Sie gab ihnen beiden die Hand, dann sagte sie: „Setzen wir uns doch. Es ist gut, daß ich Sie gleich beide zusammen vorfinde, das spart uns Zeit. Ich würde gern eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse, Ergebnisse und Vermutungen hören.“
Zuerst berichtete der Chefarzt.
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