Das Rätsel Sigma
anderen.
Eine Weile sahen sie schweigend zu. Die Mäuse zeigten keinerlei Reaktion.
„Beim Menschen dauert es immerhin vier Stunden“, meinte der Oberleutnant schließlich.
„Aber eine Maus ist erheblich kleiner!“ entgegnete der Direktor.
„Das ist wahr“, sagte der Oberleutnant seufzend.
„Also dann“, drängte der Direktor und nahm die Untertasse wieder aus dem Karton. „Moment, hier kommt ein Video vom Flugplatz.“
„Kann man hier noch irgendwo essen?“ fragte Herbert den Oberleutnant, als der Nachtportier vom „Grünen Baum“ sie eingelassen hatte. Der Oberleutnant hatte hier vorsorglich ein Zimmer bestellt, für Herbert und für sich; er mochte wohl nicht allein in seine vereinsamte Wohnung zurückkehren.
„Wir haben eine wohlassortierte Gästeküche“, empfahl der Portier, „im zweiten Stock, nicht weit von Ihrem Zimmer!“
Sie gingen zunächst ins Zimmer, zogen die Mäntel aus und sahen nach den Mäusen – die waren aber alle noch munter.
„Wollen wir etwas essen!“ meinte Herbert.
„Ich mag nicht“, erklärte der Oberleutnant.
Herbert sah ihn einen Augenblick besorgt an. „Unsinn“, brummte er dann. „Kommen Sie!“
Der Oberleutnant folgte gehorsam.
Die Gästeküche, eine Einrichtung für Leute, die Spaß daran finden, sich das Essen selbst zuzubereiten oder die nach Küchenschluß noch etwas Warmes zu sich nehmen wollen, war wirklich gut eingerichtet. Aus einer Automatenwand mit mehreren hundert Fächern konnte man vorgekochte oder vorgebratene Nahrungsmittel in großer Auswahl ziehen, Gewürze waren frei verfügbar und in einem Sortiment vorhanden, das jedem großstädtischen Hotel zur Ehre gereicht hätte.
„Vorschlag – ein Beefstaek?“ meinte Herbert.
„Meinetwegen“, erwiderte der Oberleutnant lustlos. Er war jetzt niedergeschlagen und antriebslos.
„Dann machen Sie inzwischen Kaffee!“ sagte Herbert. „Oder nehmen wir Bier? Oder mögen Sie lieber Tee? Mensch, nun mal Kopf hoch!“
„Ja, ja, natürlich“, sagte der Oberleutnant hastig und in einem Ton, als sei er eben aufgewacht. „Ich mach schon!“
„Was denn?“
„Tee, wenn's recht ist.“
„Na also!“
Das Fleisch brutzelte in der Pfanne und verbreitete einen angenehmen Duft.
„Hören Sie“, sagte der Oberleutnant plötzlich, „ich möchte nicht, daß Sie meinetwegen Ärger bekommen. Wenn ich jetzt in Ruhe meine ganze Handlungsweise noch einmal überlege, es war wohl doch, na ja.“
„Jetzt enttäuschen Sie mich aber“, meinte Herbert. „Ich hab mich schon gefragt, ob ich in Ihrer Lage auch den Mut aufgebracht hätte wie Sie. Oder vielleicht nicht den Mut, sondern diese – diese nicht zu bremsende Aktivität?“ Er schwieg und fuhr dann fort: „Ärger gibt's sowieso. Ich hab Sie zwar inzwischen offiziell angefordert, aber irgendwann wird ja mal jemand die Zeiten vergleichen und daraufkommen, daß diese Anforderung später datiert ist als Ihre Einweisung in der Quarantäne.“ Er zuckte betont lässig mit den Schultern. „Wir werden's überleben.“
„Würden Sie auch so denken, wenn Sie überzeugt wären, daß es sich um eine hochinfektiöse Viruserkrankung handelt?“
„Selbstverständlich nicht“, sagte Herbert. „Dann hätte ich Sie sofort zurückgeschickt. Und mich gleich mit – ich hab nämlich auch schon Kontakt mit einer Kranken gehabt, dort im Kernkraftwerk. Kommen Sie, wir nehmen den ganzen Kram mit aufs Zimmer.“
Sie aßen langsam und schweigend. Herbert dachte über den nächsten Tag nach, und erst, als sie fertig waren und dann Geschirr zusammengeräumt hatten, fiel ihm ein, daß es vielleicht nicht gut wäre, den Oberleutnant mit seinen Gedanken allein zu lassen.
„Morgen früh fahren wir in dieses Dorf da – Großhennersdorf“, sagte er. „Ich hab den Wagen für sechs Uhr bestellt. Kennen Sie sich da aus?“
„Ich war mal da“, erklärte der Oberleutnant. „Vor fünf Jahren vielleicht oder sechs, als der Stall dort noch das Paradepferd des Kreises war. Aber auskennen – nee, das wäre zuviel gesagt…“
Das Telefon unterbrach die Unterhaltung. Herbert meldete sich und winkte dann dem Oberleutnant, er solle sich daneben stellen und mithören.
Der Molkereidirektor war am Apparat. „Ich bin inzwischen zu Hause“, sagte er. „Wie geht's denn den Mäusen?“
„Sie sind immer noch munter!“
„Das hab ich mir gedacht“, sagte der Direktor, „und deshalb will ich Ihnen etwas sagen – mir ist inzwischen nämlich etwas eingefallen. Damit Sie
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