Das Rätsel Sigma
auf das Verwaltungsgebäude.
„Moment“, sagte Herbert ruhig. „Ihre Delegation in allen Ehren, aber wir sind auch angemeldet. Ich muß den Direktor sprechen.“
„Das ist jetzt nicht möglich“, erwiderte der andere, „haben Sie doch Verständnis, Sie sehen doch, was hier los ist!“ Seine Augen glitten gehetzt hin und her zwischen Herbert und der Auffahrt, wo jeden Augenblick die Delegation auftauchen konnte.
Herbert war verlegen. Er durfte sich um der Sache willen nicht abspeisen lassen, aber er konnte doch jetzt keinen Vortrag halten über seine Mission… Da fiel sein Blick auf Fred Hoffmeisters Gesicht. Es war steinernst, nur das linke Auge zwinkerte ihm unmerklich zu. Da begriff Herbert.
„Genosse Oberleutnant!“ sagte er.
„Genosse Inspektor der Regierungskommission?“ antwortete Fred.
„Veranlassen Sie, daß die Genossen der VK die Auffahrt absperren, bis ich sie freigebe.“ Er wandte sich an den Chef des Empfangskomitees. „So, jetzt haben wir Zeit.“
Der wand sich förmlich. „Aber das können Sie doch nicht machen!“ Er nahm die von Fred Hoffmeister gebrauchte Anrede auf. „Genosse Inspektor, wir tun ja alles, was…, was verlangen Sie denn von uns?“
Herbert winkte Fred. „Warten Sie noch, Genosse Oberleutnant.“ Dann sagte er wieder zu dem Empfangschef. „Wir verlangen, daß uns jemand unverzüglich zum Direktor führt. Wir verlangen zweitens, daß unser Fahrer und die Genossen von der VK sich irgendwo ausruhen können, wo wir sie jederzeit erreichen.“
Auf einmal ging es. Jemand wurde beauftragt, sie zu führen, und Herbert nahm, mit Mühe das Lachen verbeißend, seinen Befehl formvollendet zurück.
Ihr Begleiter ließ sie im Vorzimmer des Direktors einen Augenblick allein.
„Das hätte ich dir nicht zugetraut!“ sagte Fred Hoffmeister.
„Ich mir auch nicht“, meinte Herbert. Er lachte unfroh.
„Schlimm, daß solche Faxen überhaupt nötig sind.“
Dann wurden sie hereingebeten. Der Direktor war eine Frau in den Vierzigern. Sie entschuldigte sich, daß die Anmeldung durch das Org.-Büro infolge des Trubels um die erwartete Delegation liegengeblieben sei, man habe sie ihr eben erst vorgelegt, sie stehe natürlich zur Verfügung, müsse aber um Kürze bitten, in zwanzig Minuten sei der offizielle Empfang der Delegation.
Herbert trug vor, was in diesem Zusammenhang notwendig war, und schloß damit, daß das Reinigungsmittel Lactapur eine der Spuren sei, die sie gegenwärtig verfolgten.
Die Direktorin war den Ausführungen aufmerksam gefolgt. Als aber das Reinigungsmittel erwähnt wurde, verdüsterte sich ihr Gesicht. „Dann werde ich Ihnen jetzt unsere Lage erklären“, sagte sie. „Wir gehen dazu über, nicht nur Melkanlagen, sondern komplette Ausrüstungen für Zehntausender-Milchvieh-Anlagen zu exportieren, mit Garantieleistung für zehn Jahre, einschließlich Wartung, Nachlieferung von Neuentwicklungen und so weiter, wie das üblich ist. Der Schlußpunkt dieser Entwicklung, und unerwarteterweise der schwierigste, war das Lactapur. Wir brauchten, um die Anlage attraktiver zu machen, ein Mittel, das die Reinigungszeit auf die Hälfte senkt. Gemeinsam mit Leuna haben wir es entwickelt, dort wird es für uns produziert. Im Milchforschungsinstitut in Oranienburg wurde es labormäßig getestet und läuft jetzt im Großversuch. Wenn Sie mit Ihrer Vermutung recht hätten – wissen Sie, was das bedeuten würde? Wir blieben vielleicht ein halbes Jahr oder länger auf unseren Anlagen sitzen; denn mit den alten Reinigungsmitteln sind sie nicht auszulasten.“
„Der Kollege, der das Mittel entwickelt hat, ist wohl nicht zu erreichen?“ fragte Herbert.
Die Direktorin lächelte. „Er empfängt gerade die Delegation“, sagte sie. „Es ist ein ehrenvoller Auftrag für ihn. Er drückt sich immer gern vor so etwas. Aber er muß ja nun irgendwann mal hinaus in die Welt. Das sind auch so Direktionssorgen.“
Warum erzählt sie mir das? dachte Herbert. Was geht uns das an, ob der Mann menschenscheu ist oder nicht? Wovon will sie ablenken? Ach so, sicher haben sie ihr erzählt, wie wir ihm zugesetzt haben. Na schön.
„Könnte man ihn nicht für eine Viertelstunde von diesem Posten ablösen?“ fragte er.
Die Direktorin erhob sich und sah aus dem Fenster. „Schwer zu machen“, sagte sie dann, „keiner steckt so tief in dem Projekt wie er.“
„Dann handelt es sich bei dieser Delegation um Beauftragte für Exportabschlüsse über Ihre
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