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Das Rätsel Sigma

Das Rätsel Sigma

Titel: Das Rätsel Sigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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kennen.“
    Herbert erinnerte sich. „Ja, theoretisch schon. Aber in unserer Arbeit spielt das praktisch noch keine Rolle.“
    „Darf man erfahren, worum es sich da handelt?“ fragte Fred Hoffmeister.
    „Um ein Zukunftsproblem“, antwortete der Direktor. „In fünfzig oder hundert Jahren muß die Menschheit so weit sein, daß alle Stoffe, die sich im Kreislauf Produktion – Konsumtion befinden, auch darin bleiben und daß die Mengen, die der Natur entnommen oder ihr zurückgegeben werden, möglichst klein und vollständig unter Kontrolle sind. Die Aufgabe läßt sich so formulieren: Stoffkreislauf ohne Abfall. Ohne eine Spur von Abfall. Das ist sicher nie vollständig zu erreichen, aber wir müssen es in einer solchen Annäherung erreichen, wie sie heute noch unvorstellbar ist. In etwa zehn Jahren verdoppeln wir die Produktion. Das heißt, daß wir sie in hundert Jahren vertausendfachen, die Beibehaltung des jetzigen Tempos vorausgesetzt. Können Sie sich vorstellen, daß unsere jetzige Art zu produzieren dann – schlicht gesprochen – Raubbau ist?“
    „Sie arbeiten also für unsere Enkel?“ fragte Herbert.
    Der Direktor lachte. „Nein, ganz so ist das nicht. Wir lösen nur Teilaufgaben, solche, die jetzt und in naher Zukunft anfallen. Aber mit der Blickrichtung auf das gesteckte Ziel. – Übrigens, wir sind da, ich binde mein Steckenpferd hier ans Geländer.“ Er öffnete eine Tür. Sie traten ein – ja, das war unverkennbar ein chemisches Labor. Auf dem Arbeitstisch, der die Mitte des Raumes ausfüllte, war eine umfangreiche Versuchsanordnung aus Dutzenden von Kolben, Röhren, Retorten, Destillationsaggregaten aufgebaut, in der es gluckerte, dampfte, zischte – ein Alptraum aus Glas, offenbar das Experiment, an dem gearbeitet wurde. Ein dürres Männchen mit einem blanken Riesenschädel rannte um die Anordnung herum, regelte hier etwas nach, drehte dort einen Hahn, äugte und schnupperte.
    „Gleich ist es soweit!“ sagte er. „Na, was gibt's denn so Aufregendes?“
    „Du mußt mal wieder aus dem Kaffeesatz weissagen“, erklärte der Direktor. „Hier!“ Und er reichte die Formel hin.
    Der Chemiker riß sie ihm aus der Hand und betrachtete sie fast gierig. „Ja, das ist wirklich mal eine interessante Formel“, sagte er nach einer Weile. „Entzückend, wirklich entzückend! Setzt euch hin. Ach ja, nehmt euch jeder eine Petrischale und füllt euch was ab!“ Er wandte sich um und ging zu einem Pult, zog einen Tischrechner heran und bearbeitete ihn mit unglaublicher Fingerfertigkeit. Herbert und Fred sahen den Direktor ratlos an.

    Der nickte. „Tun Sie, was ich auch tue!“ flüsterte er. Von einem Regal nahm er eine Petrischale, ging an das Ende der großen Versuchsanordnung und ließ aus einem kleinen Hahn etwas in die Schale tropfen. Sofort verbreitete sich ein intensiver Kaffeeduft im Labor.
    Herbert hätte beinahe losgeschrien. Das alles, diese Apparatur, der ganze Aufwand also, um – träumte er? War er unter Verrückten…? Aber da hörte er Fred neben sich heftig atmen. Halt! befahl er sich. Runterschalten! Er nahm ganz langsam eine Schale und ließ etwas von der Flüssigkeit hineintropfen. Fred Hoffmeister, nach einigem Zaudern, tat es ihm nach. Der Direktor führte die Schale zum Munde und schlürfte einige Tropfen. Wie unter einem Zwang taten sie das gleiche.
    „Jetzt müssen Sie sagen, daß der Mokka vorzüglich ist!“ krähte der Chemiker.
    „Er ist vorzüglich!“ sagte Herbert mit belegter Stimme.
    „Das will ich meinen!“ rief der Chemiker, sprang auf und kam heran. Er nahm einen Hocker und setzte sich zu ihnen. „Und nun, mein lieber Neffe, und ihr, meine Freunde“, sagte er fast feierlich, „da ihr meinen Mokka gut findet und da ich eure Formel noch besser finde, will ich euch etwas darüber sagen.“ Er sah Herbert verschmitzt lächelnd an, und Herbert war es plötzlich, als sähe er diese klugen, braunen Augen zum erstenmal und als sei alles andere, was er bisher von ihm wahrgenommen hatte, nur eine Art Verkleidung gewesen.
    „Das Zeug könnte einen guten Plast abgeben“, sagte der Chemiker. „Auch wenn die Formel noch nicht vollständig ist, ich bin sicher, daß es schon bei Zimmertemperatur spontan polymerisiert. Sehr interessant.“
    Herbert durchzuckte es wie ein Schlag. Polymerisation! Ein Satz von diesem verdammten Onkel Richard, und eins der großen Rätsel war gelöst! Das war also der Grund, warum nur wenige Vergiftungen auftraten, obwohl Tausende die

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