Das Rätsel Sigma
Dröhnen, das bis Mittag nicht mehr abriß: Hubschrauber landeten und starteten nach der Entladung sofort wieder. Sie brachten Enzephalographen aus allen Teilen der Republik. Gleichzeitig wurden Teile des Krankenhauses geräumt, die transportfähigen Patienten der verschiedensten Stationen wurden auf die Nachbarkreise verteilt. Und dann kamen, einzeln oder in Gruppen, aus den Wohngebieten, Schulen und Betrieben, die Bürger, die im Verdacht standen, ein „leichter Fall“ zu sein.
Polizisten, Verwaltungsfunktionäre, Rote-Kreuz-Helfer, Kampfgruppen – alles, was schnell und zuverlässig in Bewegung gesetzt werden konnte, war auf die Beine gebracht und mit einer Frageliste losgeschickt worden: Haben Sie in den letzten Tagen häufig Kopfschmerzen? Hat sich Ihr Allgemeinbefinden verschlechtert? Leiden Sie unter Depressionen? Haben Sie irgendwelche Krämpfe? Müdigkeit? Schlaflosigkeit? Appetitlosigkeit? Sind Sie in den letzten Tagen besonders erregbar? Besonders antriebslos? Und so weiter und so fort. Und noch diese Fragen: Hat Sie seit Sonntag früh jemand besucht? Ist jemand aus Ihrer Familie verreist? Ist Ihnen etwas zu diesen Fragen aus Ihrer Nachbarschaft bekannt?
Wer nur eine der entsprechenden Fragen bejahen konnte, wurde aufgefordert, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Wer etwas über Nachbarn und Bekannte wußte, gab genaue Angaben zu Protokoll. Und es muß zur Ehre der Bürger von Neuenwalde-Südstadt gesagt werden, daß nur wenige von ihnen anfänglich Schwierigkeiten machten.
Im Krankenhaus standen Ärzte bereit, von denen die meisten ebenfalls erst seit einer knappen Stunde dort waren. Alle Ankommenden wurden gründlich befragt und kamen dann, wenn sich ihr „Fall“ nicht als wirklich harmlos herausstellte, für mindestens drei Stunden unter ein EEG. Bald hatten sich weit über dreihundert Menschen gemeldet. Die immense Arbeit leitete – trotz seiner Krankheit – der Chefarzt Dr. Knabus. Gegen Mittag, als der Zustrom nachließ, war es für ihn wieder höchste Zeit zu schlafen. Er hätte sich wahrhaftig in dem Bewußtsein hinlegen können, Unmögliches vollbracht zu haben. Aber seine Kopfschmerzen waren jetzt so stark, daß er überhaupt keinen Gedanken mehr fassen konnte. Niemand jedoch, nicht einmal sein inzwischen eingearbeiteter Vertreter in dieser Funktion, bemerkte, daß es ihm diesmal besonders schlecht ging.
Eine weitere Arbeitsgruppe unter Leitung von Fred Hoffmeister sammelte die Angaben über Verreiste und Besucher. Anfangs hatten sie daran gedacht, alle über die Post zu verständigen, aber je mehr Adressen es wurden, desto klarer zeichnete sich eine gewisse Aufteilung ab: Weitaus die meisten Besucher stammten aus dem Kreisgebiet, nur wenige aus weiter entfernt liegenden Gemeinden und Städten. Diese Gruppe konnte man über die Gemeindeschwestern erreichen. Bei den Verreisten wiederum handelte es sich meist um Urlauber, die man über die Ferienkommissionen der Betriebe erreichen konnte. Es blieben nur ein gutes Dutzend Personen übrig, mit denen man sich einzeln befassen mußte. Am Mittag konnte auch diese Arbeit im wesentlichen abgeschlossen werden.
Aber da traf eine Nachricht ein, die alle erschreckte und Herbert wie auch Fred Hoffmeister zur höchsten Eile anspornte: Die Oranienburger meldeten, daß der gesamte Vorrat an Toxin, das aus der Milch extrahiert worden war, sich zersetzt hatte. Und eine chemische Darstellung der Gifte würde, wenn sie überhaupt möglich war, Monate dauern!
Schirin stand kopf. Inmitten all der summenden, blinkenden, zuweilen ratternden Rechentechnik streckte Schirin die Beine kerzengerade in die Höhe, Kopf und Hände auf ein Kissen gestützt, den Rücken an die Wand gelehnt. Leif lief hin und her, beschäftigte sich mit den Peripheriegeräten und schielte ab und zu besorgt zu Schirin hin.
„Zehn Minuten, nun reicht es aber, komm hoch!“ sagte er schließlich.
Mit geschmeidigen Bewegungen stand Schirin auf, reckte sich und schüttelte das schwarze Haar.
„Und das haben dir die Ärzte wirklich verordnet?“ fragte Leif zweifelnd.
„Es macht ungeheuer frisch“, sagte Schirin, „weckt Lebensgeister. Ich erinnere mich jetzt viel deutlicher, was ich gestern abend gesehen habe. Du hattest dich in einen Eisbären verwandelt, einen Eisbären mit weißen, spitzen Zähnen und hu! – einem flammend-roten Rachen. Und mit dem Kopf hast du immer so gemacht!“ Sie schwenkte den Kopf wie ein Eisbär hin und her.
„Ich habe dich was gefragt“, sagte
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