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Das Raetsel von Flatey

Das Raetsel von Flatey

Titel: Das Raetsel von Flatey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingólfsson
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häufig verwendet werden, ohne dass jemand an ihren
Ursprung denkt. Sätze wie: »Niemand vermag etwas gegen
viele«, »Bier ist ein anderer Mann«, »Der
Klügere gibt nach«, »Man soll die Feste feiern,
wie sie fallen«. Das sind alles Redewendungen, die in den
Sprachschatz eingegangen sind, ohne dass jemals daran gedacht wird,
woher sie stammen. Nur wenige Schriftsteller heutzutage
verfügen über einen vergleichbaren Einfallsreichtum
...

Acht
    Das Haus des Küsters war klein und niedrig
und lag etwas landeinwärts auf der Insel. Der Hausherr war von
eher kleiner Statur und musste sich trotzdem bücken, um in die
winzige Kate einzutreten, nachdem er den Handwagen an der Hauswand
abgestellt hatte. Drinnen befand sich ein kleiner Flur, dessen
Wände mit ungehobelten Kistenbrettern verkleidet waren, sowie
eine Küche und ein Zimmer, das gleichzeitig als Wohn- und
Schlafraum diente. Eine Tapete mit einem rosa Blumenmuster zierte
die Wände, während die Decke dunkel getäfelt
war.
    Kormákur Kolk legte seine
Garderobe für offizielle Anlässe ab, faltete sie
sorgfältig zusammen und legte sie zuoberst in eine grün
lackierte Kleidertruhe, die am Fußende des Bettes stand. Dann
zog er sich Arbeitskleidung an, einen alten grauen Overall,
Wollsocken und abgewetzte Gummigaloschen.
    Hausfrau Guðríður
kochte gerade Rochen und dazu Kartoffeln. Sie war korpulent und
noch kleiner als ihr Mann. Wegen ihres offenen Beins saß sie
auf einer Bank beim Herd und schob sich mit Hilfe der Hände
auf ihr hin und her. Auf dem Küchentisch stand ein Wasserglas
mit ihrem Gebiss darin. Die Prothese war nämlich etwas zu
groß, und Guðríður hatte sie nur im Mund,
solange sie sie zum Essen brauchte.
    »Was für ein gesegneter
Essensduft«, erklärte Kormákur Kolk, als er sich
in die Küche zwängte. Das Ehepaar setzte sich zu Tisch.
Sie falteten die Hände, und der Hausherr sprach ein
Tischgebet: »Dem Herrn sei Dank für Speis und Trank, in
Jesu Namen. Amen.«  
    Während des Essens berichtete
Kormákur Kolk seiner Frau über den Leichentransport.
Den Inhalt der Kiste hatte er zwar nicht selber in Augenschein
genommen, aber er zitierte den Gemeindevorsteher und schmückte
den Bericht mit seiner eigenen Fantasie aus. Das
Gesprächsthema beeinträchtigte den Appetit der Eheleute
keineswegs, eher im Gegenteil. Sie verleibten sich
geräuschvoll ein Stück Rochen nach dem anderen ein.
Guðríður stampfte Fisch und Kartoffeln mit der Gabel
zusammen. Sie hatte zwar das Gebiss im Mund, aber trotzdem war es
nicht ganz einfach, damit zu kauen.
    Kormákur Kolk erging sich in
einem langen Monolog über das Rätsel von Ketilsey. Er
konnte sich nicht erinnern, dass in den letzten Jahrzehnten so
etwas auf den Inseln vorgekommen war. Havarien und Unglücke
hatten, solange er sich zurückerinnern konnte, zum Inselleben
dazugehört, aber dass ein unbekannter Mann auf einer der
unbewohnten Inseln zu Tode kam, indem er verhungerte oder erfror,
war eine unerhörte Begebenheit. Guðríður
stieß verschiedentlich erstaunte Ausrufe aus, und
schließlich fragte sie: »Glaubst du, dass es
möglich ist, eine Verbindung zu deinem Ziehvater selig
herzustellen, wenn wir eine Séance machen? Vielleicht kann
er eine Nachricht von diesem Unbekannten
übermitteln?«
    Kormákur Kolk schüttelte
den Kopf. »Nein, jetzt noch nicht. Mein Ziehvater selig ist
eigenbrötlerisch und möchte so wenig wie möglich mit
anderen zu tun haben. Den bekomme ich nie dazu, einfach mal so
irgendwelche Nachrichten zu überbringen. Vielleicht erscheint
er mir aber demnächst im Traum und gibt mir einen Hinweis.
Dann werden wir sehen, was zu tun ist. Es besteht allerdings die
Gefahr, dass hier irgendwo ein unruhiger Geist herumschwebt, wenn
jemand auf so schreckliche Weise ums Leben gekommen
ist.«
    Nach beendeter Mahlzeit räumte
Guðríður den Tisch ab und stellte das Geschirr in
das Spülbecken. Das war eine mühsame Angelegenheit, denn
sie saß dabei auf der Bank und musste sich hin- und
herschieben. Dann gab sie Kaffeebohnen in eine Mühle,
während Kormákur Kolk ein Bücherpaket aus dem
anderen Zimmer holte. Es war sorgfältig in alte Zeitungen
eingeschlagen und mit einer Schnur zusammengebunden. Liebevoll
packte er die Bücher aus und legte sie auf den
Küchentisch. Zuoberst lag eine alte Bibel, und dann kamen vier
dicke Buchrücken zum Vorschein, Flateyjarbók, Band
eins, zwei, drei und vier, erschienen 1944.
    Kormákur Kolk zündete
einen Kerzenstummel an und öffnete die

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