Das Raetsel von Flatey
Kjartan das Trio, das draußen
wartete.
»In welchem
Zusammenhang?«, fragte Grímur.
Kjartan nahm den Zettel und las den
Text vor.
Als er damit fertig war, warfen sich
Grímur und Högni viel sagende Blicke zu, während
Kormákur Kolk sich auf die Zehen hob und in die Brust warf.
»Ich weiß, wer dieser Jón Finnsson
ist.«
»Und wer ist es?«, fragte
Kjartan.
»Das ist Jón Finnsson,
Großbauer zu Flatey, der Bischof Brynjólfur Sveinsson
die Handschrift Flateyjarbók schenkte. Der Bischof hat das
Buch dann an den König geschickt, nicht
wahr?«
Der Küster blickte sich
selbstgefällig um.
»Und das geschah im Herbst
1647«, fügte Grímur hinzu.
Kormákur Kolk fuhr fort:
»Diese Zueignung steht ganz vorn in der Originalhandschrift
und ist auf diesen Zettel abgeschrieben worden. Es ist nämlich
im Grunde ziemlich merkwürdig, dass der einzige Mann in dieser
Sippe, der sich eigenhändig als Besitzer in das Buch
eingetragen hatte, derselbe war, der es aus dem Familienbesitz
weggab.«
Kormákur Kolk gestikulierte
lebhaft, um seine Worte zu unterstreichen.
»Und Flateyjarbók ist
jetzt beim König in Kopenhagen«, sagte Grímur.
»Das hier ist also kaum vom Original abgeschrieben
worden«, fügte er hinzu.
»Was kann es für einen
Zweck gehabt haben, diesen Text auf ein Blatt zu schreiben und mit
sich herumzutragen?«, fragte Kjartan. »Und was bedeutet
›folio 1005‹?«
Die anderen schauten sich an, aber
keiner wusste eine Antwort. Schließlich sagte Grímur:
»Manchmal kommen Reisende hierher, die sich mal mit
Flateyjarbók beschäftigt haben und mehr über die
Handschrift und ihre Geschichte wissen
wollen.«
»Und wer kann ihnen solche
Auskünfte geben?«, fragte Kjartan.
»Da gibt’s den einen oder
anderen«, erwiderte Grímur. »Die meisten hier
auf der Insel wissen etwas über die Geschichte, wenn man sie
fragt. Sigurbjörn von Svalbard ist ziemlich beschlagen und
zitiert oft aus dem Buch, aber unser Pastor kann besser
Dänisch, und er unterhält sich mit den
Ausländern.«
Während die Männer sich
unterhielten, legte Jóhanna den Überwurf ab und packte
ihn in die Tasche. Dann nahm sie die Notizen des Protokollanten
entgegen.
»Ich werde den Bericht ins
Reine schreiben und bringe ihn euch morgen«, sagte sie und
ging weg, ohne sich zu verabschieden.
Kormákur Kolk drehte den
Schlüssel im Schloss der Kirchentür und zog
anschließend noch einmal kräftig am Griff, um sich zu
vergewissern, dass die Tür verschlossen war.
»Hier kommt niemand hinein, es
sei denn in meiner Begleitung, und keiner heraus, es sei denn, in
Gottes Namen«, sagte er, schlug mit der Hand das Zeichen des
Kreuzes vor der Kirchentür und steckte den Schlüssel in
die Tasche. »Das reicht dann wohl für heute Abend, oder
nicht, mein lieber Gemeindevorsteher?«
»Doch. Allerbesten Dank
für deine Hilfe«, sagte Grímur.
Der Küster nahm den Handwagen
und zog mit ihm los, den Hang hinunter. Solange es bergab ging,
ließ er das Gefährt vor sich herrollen, aber auf ebenem
Terrain zog er es hinter sich her. Er hielt eine Weile inne, drehte
sich dreimal im Uhrzeigersinn um sich selbst und noch dreimal gegen
den Uhrzeigersinn, und nach jedem Durchgang bekreuzigte er sich.
Dann ging er nach Hause und zog den Wagen hinter sich
her.
»Der Kerl will offensichtlich
vermeiden, dass ihn heute Abend etwas Unreines bis nach Hause
verfolgt«, sagte Högni lächelnd.
»Er ist ziemlich kauzig und
viel abergläubischer, als die Leute hier normalerweise
sind«, sagte Grímur zur Erklärung für
Kjartan.
»Der Kerl hat wohl auch so was
wie hellseherische Fähigkeiten«, fügte Högni
hinzu.
»Hellseherisch, wie meinst du
das?«, fragte Kjartan.
Grímur erwiderte: »Kolk
kommt einem immer wieder damit, dass ihm was
Übernatürliches untergekommen ist, aber wenn man ihn dann
festnageln will, bringt es überhaupt nichts.« Er
lächelte.
Högni fuhr fort: »Ein
richtiger Hellseher hätte keine Probleme, mit dem Toten hier
in dem Kasten Verbindung aufzunehmen. Da war mal ein Mann auf einem
Hof im Kjálkafjörður, der bei Beerdigungen dauernd
vor sich hinquasselte. Er redete immer mit irgendwelchen
herumschwebenden Gestalten und Schemen.«
Kjartan lächelte etwas
gequält: »Ich bin nicht davon ausgegangen, dass sich die
Sache auf diese Weise aufklären lässt«, und fragte
dann, um das Thema zu wechseln: »Kann Kormákur Kolk
von seinen Eiderdaunen leben?«
Grímur antwortete: »Ja,
und von so allerlei Kleinkram, was gerade so
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