Das Raetsel von Flatey
Vorgesetzten anrufen. Du hast doch
schon offen, Stína?«
Ingibjörg setzte sich an einen
Tisch und bedeutete Kjartan, sich neben sie zu
setzen.
»Ich mache jetzt einfach
für euch auf. Ich muss nur noch die Lichtmaschine in Gang
setzen und die Anlage einschalten«, antwortete Stína
und zog sich alte Arbeitshandschuhe an, bevor sie den Raum
verließ.
Ingibjörg erläuterte dies
etwas näher. »Hier am Ort haben wir nur eine Sorte
Strom, nämlich den, den die Lichtmaschine erzeugt. Da
gibt’s zwar noch so eine Maschine im Gefrierhaus für die
Fischverarbeitung, aber die ist wohl selten in
Betrieb.«
Bald hörten sie schwache
Motorengeräusche, und die freundliche Stína erschien
wieder. Sie stülpte sich einen schweren, schwarzen
Kopfhörer über, an dem auch ein Mikrofon befestigt war,
und sie setzte die Anlage in Gang, indem sie einige
Schaltknöpfe bediente. Sie wartete, bis die Röhren warm
geworden waren, und sagte dann laut und deutlich:
»Stykkishólmur, Stykkishólmur, Radio Flatey
ruft.« Das wiederholte sie zweimal.
Dann legte sie den Kopfhörer ab
und sagte: »Stykkishólmur wird gleich antworten. Die
lassen da manchmal etwas auf sich warten, damit die Leute glauben,
sie hätten so viel zu tun.«
Sie behielt Recht. Bald hörte
man Geräusche, und dann ertönte eine männliche
Stimme aus dem Lautsprecher an der Wand: »Radio Flatey,
Stykkishólmur antwortet.«
»Guten Morgen,
Stykkishólmur. Ein Gespräch nach
Patreksfjörður bitte, der Bezirksamtmann wird
gewünscht.«
»Augenblick«, wurde
geantwortet, und dann Schweigen. Stína und Ingibjörg
warteten mit feierlicher und gespannter Miene.
Kjartan schaute aus dem Fenster, von
dem aus man den Ort überblicken konnte, und er sah, wie zwei
Männer vor der Bekanntmachung an der Tür des
Genossenschaftsladens standen. Sie schienen das Papier interessiert
zu lesen, und dann tuschelten sie miteinander und schauten in
Richtung Telegrafenamt.
»Radio Flatey, hier ist
Stykkishólmur, der Bezirksamtmann in Patreksfjörður
ist in der Leitung.«
»Bitte schön!«,
erklärte Stína und deutete auf einen schwarzen Apparat,
der vor Kjartan auf dem Tisch stand.
Er griff nach dem Hörer.
»Hallo, hallo. Hier spricht Kjartan in
Flatey.«
Die Stimme in der Leitung klang weit
entfernt. »Ja, hallo, wie steht es mit den
Ermittlungen?«
Kjartan antwortete: »Wir haben
die Leiche geholt, aber wir wissen noch nicht, wer es ist. Sehr
wahrscheinlich ist er dort lebend an Land gegangen, aber dann wegen
Kälte und Nahrungsmangel umgekommen. Und er hat bestimmt ein
paar Monate da gelegen, nachdem er den Tod gefunden
hat.«
Nach kurzem Schweigen erwiderte der
Bezirksamtmann: »Das ist ja eigenartig. Weiß wirklich
niemand, wer es ist?«
»Nein. Und die Leiche ist
völlig unkenntlich.«
Wieder Schweigen, während sich
der Bezirksamtmann die Sache durch den Kopf gehen
ließ.
»Nun gut. Aber die Leiche muss
nach Reykjavík geschickt werden«, sagte er
schließlich.
»Ja, sie geht morgen mit dem
Postschiff ab.«
»Gut.«
»Soll ich dann nicht heute
zurückkommen?«
»Heute? Nein, du bleibst noch
in Flatey und unterhältst dich mit den Inselbewohnern. Es muss
doch möglich sein herauszufinden, wer den Mann dort auf diese
Insel gebracht hat.«
Kjartan war alles andere als erfreut.
»Ich habe eigentlich keine Erfahrung mit solchen
Ermittlungen«, erklärte er.
»Nein, aber du musst mich da
jetzt so gut wie möglich vertreten. Ich habe nicht vor, die
Kriminalpolizei in Reykjavík hinzuzuziehen, wenn wir das
hier selbst in unserem Bezirk erledigen können. Der
Gemeindevorsteher wird dir dabei behilflich sein, die Protokolle
anzufertigen.«
»Ja, aber was ist dann mit der
Führung des Grundbuchs?«
»Das kann ruhig zwei oder drei
Tage warten. Mach dir darüber keine Gedanken und konzentrier
dich jetzt auf diese Sache. Setz dich morgen wieder mit mir in
Verbindung. Wiederhören, und viel
Erfolg.«
Das Gespräch war beendet, und
Stína gab Stykkishólmur Bescheid, dass das im
Augenblick alles sei.
Kjartan übergab ihr den
Durchschlag der Bekanntmachung und bat sie, den Inhalt per Funk an
die anderen Inseln weiterzugeben.
Sie rief im Funkgerät auf:
»Skáleyjar, Svefneyjar, Látur, Radio Flatey
ruft.«
Das wiederholte sie dreimal, und die
Inseln meldeten sich eine nach der anderen. Als sie anfing, die
Bekanntmachung vorzulesen, gingen Ingibjörg und Kjartan nach
draußen.
»Grímur kommt um die
Mittagszeit zurück, und dann könnt ihr
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