Das Raetsel von Flatey
schneidet. Manchmal kommt
aber der Friseur von Stykkishólmur mit dem Postschiff und
verpasst den Leuten einen Haarschnitt, solange das Schiff unterwegs
nach Brjánslækur ist. Ich finde ihn besser. Der kann
einen richtigen Herrenschnitt machen. Und im Kaufladen von
Ásmundur gibt’s Brillantine zu
kaufen.«
Benni klemmte die brennende Zigarette
in den Mundwinkel, fischte einen Kamm aus der
Gesäßtasche und kämmte sich das helle Haar aus der
Stirn.
»So eine Frisur hat
Elvis«, sagte er zur Erklärung, aber dabei fiel ihm die
Zigarette aus dem Mund.
Kjartan verabschiedete sich von ihm
und machte sich auf den Weg nach Svalbard, während Benni im
Rharbarber, der an der Hauswand wuchs, nach dem Zigarettenstummel
suchte.
Auf diese Weise ergab sich die
günstige Gelegenheit, dass Kjartan Sigurbjörn und
Guðjón gleichzeitig befragen konnte. Sigurbjörn
saß auf einem Hocker draußen vor dem Haus. Über
die Schultern war ein altes Laken gehängt und am Hals
zusammengeknotet worden. Neben ihm stand Guðjón und
schnitt ihm die Haare. Außer ihnen waren noch zwei Frauen auf
dem Hof, wahrscheinlich Mutter und Tochter, die in einem
großen Wäschebottich Bettwäsche wuschen. Die
jüngere, ein hübsches Mädchen von vielleicht
fünfzehn oder sechzehn Jahren, schaute neugierig zu Kjartan
hinüber, blickte aber verschämt weg, als Kjartan sie
ansah.
Guðjón vom Rathof war ein
solide aussehender Mann, der auf die fünfzig zuging. Er war
frisch rasiert, und das dunkle Haar hatte er sorgfältig mit
Pomade glatt gekämmt. Er trug eine beigefarbene Hose mit
Bügelfalten und dazu ein kariertes Baumwollhemd mit einem
roten Tuch um den Hals. Sigurbjörn dagegen war etwas
älter, und auf der Seite des Kopfes, die noch unbeschnitten
war, wucherte eine üppige graue Mähne. Auf der anderen
Seite waren die Stoppeln so kurz, dass die bläulich
weiße Kopfhaut durchschien. Die Füße, die in
grauen Wollsocken und Gummigaloschen steckten, schauten unter dem
Laken hervor.
Kjartan fand, dass die Methoden des
Haarkünstlers eher einer Schafschur glichen. Es ging auch nur
langsam vorwärts mit dem Schneiden, denn Sigurbjörn hatte
eine empfindliche Kopfhaut und zuckte häufig zusammen, weil
die Schere so stumpf war.
Kjartan stellte sich vor, und die
anderen grüßten.
»Was für ein schönes
Wetter«, sagte Kjartan dann, um irgendwas zu
sagen.
Sigurbjörn antwortete:
»Ja, so ist es hier das ganze Frühjahr gewesen. An so
was können sich selbst die ältesten Schachteln nicht
erinnern, glaube ich fast. Die Küstenseeschwalbe ist noch nie
so früh in ihr Brutgebiet gekommen, glaube ich fast. Das kann
nur ein schlimmes Ende nehmen, glaube ich fast. Aua, au, pass doch
auf mit dieser verdammten Schere, Jungchen.«
»Ach, ihr glaubt also, dass es
sich verschlechtern wird«, sagte Kjartan und blickte zum
Himmel, konnte aber keine einzige Wolke erblicken. Er fuhr fort:
»Aber hört mal, ihr wisst wahrscheinlich, welchen
Auftrag ich hier im Ort auszuführen habe, nicht wahr? Darf ich
euch vielleicht jetzt ein paar Fragen
stellen?«
Guðjón unterbrach den
Haarschnitt und richtete sich auf. »Na klar, das ist ja wohl
selbstverständlich«, sagte er
neugierig.
»Es hat sich herausgestellt,
dass der Tote, der in Ketilsey gefunden wurde, ein Däne war,
der hier im vergangenen Jahr beim Pastor einquartiert war, ein
Professor Gaston Lund«, sagte Kjartan.
»Ja, das haben wir gestern
gleich erfahren«, erwiderte
Guðjón.
»Könnt ihr euch an diesen
Mann erinnern?«
Guðjón schüttelte den
Kopf, aber Sigurbjörn nickte und entgegnete: »Ja, doch,
das kann man wohl sagen. Ich kann mich gut an den Ärmsten
erinnern. Ich hab mich nämlich ein bisschen mit ihm
gestritten.«
»Ach so?« Kjartan wurde
aufmerksam.
»Ja, soweit das überhaupt
möglich war. Der arme Kerl versuchte, Isländisch zu
reden, aber gut verstehen konnte man ihn
nicht.«
»Aber er konnte sich
verständlich machen?«
»Er sprach irgendwie
Altisländisch oder so was in dem Stil. Das hatte er, wie er
sagte, sich aus den Handschriften beigebracht. Und dann hat er sich
ein bisschen im modernen Isländisch geübt, indem er sich
mit isländischen Studenten in den Kneipen von Kopenhagen
unterhalten hat. Die haben wahrscheinlich nichts anderes gemacht,
als zu fluchen und zu schweinigeln.«
»Hat er viel geflucht?«,
fragte Kjartan.
Sigurbjörn schüttelte den
Kopf und lächelte. »Nein, nein.«
»Und über was habt ihr
euch gestritten?«
»Ich hab ihn
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