Das Raetsel von Flatey
Kormákur
Kolk in seiner Ausgehkleidung und die drei Männer von
Endenkate erschienen. Valdi hatte das Schiff kommen sehen und war
zum Kai gegangen, um wie gewohnt die Trossen entgegenzunehmen.
Kjartan hatte nach den Ereignissen auf dem Friedhof darum gebeten,
nicht weiter in diese Ermittlung hineingezogen zu werden. Er
fühlte sich krank und wollte sich hinlegen.
Der ranghöhere Kriminalbeamte
begrüßte Grímur als Erster. »Mein Name ist
Ingimundur«, sagte er und stellte dann seinen Kollegen vor.
»Lúkas von der Spurensicherung. Er wird den Tatort
untersuchen und mir anschließend bei den Vernehmungen
assistieren.«
Ingimundur war um die sechzig,
schlank und robust. Sein weißes, nach hinten gekämmtes
Haar fing an, etwas schütter zu werden. Er war braun gebrannt
und glatt rasiert, aber etwas faltig wie nach zu viel
Sonneneinstrahlung. Lúkas dagegen war etwas jünger,
wahrscheinlich noch keine vierzig. Er war klein und gedrungen,
hatte dicke Lippen, ein breites Gesicht mit grober Haut und
dunkelblondes Haar.
Zwei Seeleute waren an Deck, um das
Küstenwachboot für die Nacht am Kai klarzumachen. Auf der
hell erleuchteten Brücke konnte man Menschen
erkennen.
Die Polizisten waren gut
gerüstet für den Gang im Regen, sie hatten solide
Regenmäntel und Gummistiefel an. Sie trugen zwei schwere
Taschen und einen länglichen Kasten, ähnlich dem, der
für den Transport von Gaston Lund verwendet worden war. Der
ältere Beamte nahm Kormákur Kolks Anerbieten, ihm den
Handwagen für den Transport zu leihen, dankend
an.
Sie zogen los, Kormákur Kolk
mit seinem Wagen an der Spitze und die anderen hinterher.
Grímur informierte die Kriminalbeamten über die
Ereignisse der letzten Tage und darüber, was er von Bryngeirs
Unternehmungen während der vergangenen vierundzwanzig Stunden
wusste. Ingimundur erkundigte sich danach, wie viele Menschen sich
auf der Insel befanden, Einwohner und Besucher.
»Heute Morgen waren hier
zweiundfünfzig Seelen«, erklärte Grímur nach
kurzem Überlegen.
»Und wie viele von denen
verfügen über die körperlichen Kräfte, um so
etwas auszuführen?«, fragte der Beamte.
»Tja, das weiß ich nicht.
Wahrscheinlich die meisten erwachsenen Männer und bestimmt
auch ein paar von den kräftigsten
Frauen.«
»Wir müssen morgen alle
verhören, vom Konfirmationsalter bis achtzig. Wie viele sind
das?«
Grímur zählte im Stillen.
»Wahrscheinlich zweiundzwanzig Männer und fünfzehn
Frauen. Zwei Greise sind schon weit über achtzig, und der Rest
sind Kinder, die noch nicht konfirmiert
sind.«
Der Polizeibeamte verstummte und
dachte nach, schließlich sagte er: »Der Fall
dürfte nicht allzu schwierig zu lösen sein. Das
Ausschließungsverfahren wird diese Gruppe stark
einschränken. Ich hoffe bloß, dass dieser unselige
Mensch unterdessen keine weitere Verzweiflungstat
begeht.«
Hinter den dunklen Regenwolken stand
die Sonne zwar immer noch irgendwo am Himmel, aber trotzdem war es
jetzt dämmrig. Sie kamen am Arzthaus vorbei, wo Licht brannte.
Grímur führte sie nicht auf dem kürzesten Weg zum
Friedhof, sondern folgte der Straße, denn dort konnte man
besser mit dem Handwagen vorankommen. Auf diese Weise gelangten sie
zunächst zur Kirche, die geöffnet war. Högni stand
im Portal Wache, er trug Seemannskleidung und einen Südwester.
Er begrüßte sie mit einer Handbewegung.
Die Kriminalbeamten hoben ihr
Gepäck vom Handwagen und trugen es in die Kirche. Daraufhin
bedankten sie sich bei Kormákur Kolk und erklärten,
dass er jetzt gehen könne, aber sie wären dankbar, wenn
sie den Wagen behalten könnten. Kormákur Kolk wusste
nicht so recht, was er davon halten sollte, bis Grímur
erklärte: »Geh du ruhig zu Bett, mein lieber Kolk. Ich
pass schon auf deinen Wagen auf.«
Kormákur Kolk stellte sich auf
die Zehenspitzen. »Na schön, mein verehrter
Gemeindevorsteher. Dann gehe ich jetzt, obwohl es eigentlich nicht
meine Art ist, als Erster das Schlachtfeld zu
verlassen.«
Grímur wandte sich an
Högni: »Du kannst jetzt auch gehen, mein lieber
Högni. Du hast lange genug Wache gestanden. Aber schau erst
nochmal bei meiner Imba herein und lass dir ein Tässchen
Kaffee geben. Niemand ist heute Abend gern
allein.«
Es war Högni anzusehen, dass er
erleichtert war. Er packte Kormákur Kolk beim
Arm.
»Komm jetzt, Genosse, deine
Sonntagsgarderobe ist ja klatschnass.«
Sie gingen gemeinsam den Hang
hinunter, ohne sich umzublicken.
Lúkas nahm zwei große
Taschenlampen
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