Das Raetsel von Flatey
von so etwas einen Schock davonträgt. Du bist ein
junger Mann und nicht an derartige Scheußlichkeiten
gewöhnt.«
»Ja, aber es geht auch um diese
Funktion, in der ich hier bin. Das liegt mir überhaupt nicht.
Ich hätte diesen Auftrag gleich ablehnen sollen, als der
Bezirksamtmann beschloss, mich hierher zu schicken. Ich bin nicht
nach Patreksfjörður gegangen, um solche Aufgaben zu
übernehmen. Ich bekomme Depressionen davon, meine Nerven
vertragen das nicht.«
»Das wird dich am Ende noch
abhärten. Was einen nicht umbringt, macht einen
stark.«
»Da bin ich mir nicht so
sicher«, erwiderte Kjartan.
Es regnete immer noch, und jetzt
frischte der Ostwind wieder auf.
Grímur besah sich den Himmel:
»Da besteht wohl kaum Hoffnung auf
Wetteränderung«, erklärte er bekümmert, als
Ingibjörg sich wetterfeste Kleidung anzog, um in den Kuhstall
zu gehen. Der Gemeindevorsteher hatte den Kriminalbeamten zu
Verfügung zu stehen, und irgendjemand musste sich ja
schließlich auch um die Kühe
kümmern.
Gegen acht machten sich Grímur
und Kjartan auf den Weg zur Schule. Sie hatten Kaffee in einer
Thermoskanne dabei und frisch gebackenes Brot für die
Gäste. Auf dem Weg dorthin wurde Benni vom Rathof geweckt, der
sich fix anziehen und sie zum Schulhaus begleiten musste. Es war
keine Zeit zu verlieren, wenn sämtliche erwachsenen Personen
auf der Insel vernommen werden mussten, und Benni hatte
wahrscheinlich am meisten zu berichten. Er war fast zwei Tage lang
mit dem Reporter herumgestromert.
Die Polizisten waren bereits
aufgestanden. Högni hatte auf dem Primuskocher Wasser zum
Rasieren warm gemacht, und sie beendeten gerade ihre
Morgentoilette. Kjartan begrüßte sie, stellte sich vor
und fragte, ob sie seiner Assistenz
bedürften.
Ingimundur blickte forschend und ein
wenig neugierig auf den Ausgesandten des Bezirksamtmanns.
Schließlich sagte er: »Nein, diese Vernehmungen
schaffen wir alleine, und der Gemeindevorsteher wird uns dabei
behilflich sein, die Leute hierher zu bestellen. Du kannst es dir
bequem machen, bis wir dich vorladen«.
»Mich vorladen?«, fragte
Kjartan erstaunt.
»Ja, wir müssen alle Leute
vernehmen, die in der vorletzten Nacht auf der Insel waren. Auch
der Gemeindevorsteher kommt nicht umhin, uns zu sagen, was er in
der letzten Nacht gemacht hat.«
»Ach ja, natürlich. Ich
bin jederzeit bereit«, sagte Kjartan und verabschiedete sich
mit einem Kopfnicken, bevor er hinausging.
Die Polizisten setzten sich an den
Tisch, auf dem der Kaffee stand, und bedeuteten Benni, Platz zu
nehmen. Grímur und Högni standen abwartend an der
Tür. Sie waren sich nicht sicher, was für eine Rolle
ihnen bei der weiteren Entwicklung zugedacht war.
Vier Schultische waren
zusammengerückt worden, und die Polizisten hatten an zwei
Seiten Platz genommen. Benni saß Ingimundur gegenüber.
Es herrschte langes Schweigen, während sich die Gäste ein
paar Schnittchen einverleibten. Benni zündete sich eine
Zigarette an, und Högni brachte ihm eine alte Untertasse als
Aschenbecher.
Schließlich forderte Ingimundur
Högni auf, den Raum zu verlassen, aber Grímur wurde
gebeten zu bleiben. Als die Tür zugefallen war, wandte sich
Ingimundur Benni zu und fragte ihn nach seinem Namen und seinem
Alter. Die Stimme des jungen Mannes zitterte ein
wenig.
Der Kriminalbeamte schaute ihm lange
in die Augen, bevor er abrupt fragte: »Wann hast du Bryngeir
zuletzt gesehen?«
Benni hatte die Antwort sofort parat:
»Am Sonntagabend, so gegen sieben.«
»Wo?«
»Im Kuhstall bei
Kormákur Kolk.«
»Was habt ihr den ganzen
Sonntag über gemacht, wo seid ihr gewesen, mit wem habt ihr
gesprochen?«
Jetzt musste Benni etwas
überlegen. »Ich habe ihn zweimal getroffen. Erst
mittags. Er kam zu uns auf den Rathof und hat Essen geschnorrt,
denn Sibbi in Svalbard hatte ihn in der Nacht
rausgeworfen.«
»Wieso wurde er aus dem Haus
geworfen?«
»Dieser Bryngeir war ein
richtiger Blödmann. Er hat behauptet, dass es zu einem
Missverständnis gekommen wäre. Aber später habe ich
erfahren, dass er versucht hat, zu Hafdís ins Bett zu
steigen, als alle eingeschlafen waren. Wenn ich das gewusst
hätte, hätte ich mich überhaupt nicht mit ihm
abgegeben. Hafdís ist ein anständiges Mädchen und
würde nie so einen Kerl an sich
ranlassen.«
»Und was habt ihr mittags
gemacht?«
»Ich habe ihm daheim in der
Küche die Reste von dem Papageitauchereintopf zu essen
gegeben, und dann sind wir zur Eyjólfsmole und haben uns die
Boote von den
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