Das Rattenloch
mir, Flo? Bin ich nicht auch ein Mensch?«
»Das ist wohl nicht zu übersehen.«
»Ho, danke!«, rief Max hart lachend. »Da kann ich ja zufrieden sein, wenn du es so siehst. Alles toll. Dann werden mich deine Ratten auch töten und mir das Fleisch von den Knochen reißen.«
»Wenn ich es will, schon.«
Maxine saß für einen Moment unbeweglich. Auch als sie sprach, blieb sie steif. »Du weißt, welche Frage ich dir als nächste stellen könnte?«
»Ja, sehr genau.«
»Muss ich sie noch aussprechen?«
»Es kommt auf dich an.« Florence blieb sehr gelassen. »Du bist ein Mensch, aber zugleich meine Schwester. Ich kann dir nur eines sagen. Stell dich auf meine Seite. Versuche einfach, eine Freundin der Ratten zu werden. Wenn du das geschafft hast, und das packst du, ich weiß es, dann sehen wir weiter. Dann können wir noch immer ein Traumpaar bilden, das gegen den Fluch der Tierversuche ankämpft. Ich wünsche es mir sogar sehr.«
Maxine nickte. »Das glaube ich dir aufs Wort. Aber ich bin nicht allein. Ich habe einen Bekannten mitgebracht, der natürlich auch ein Mensch ist.«
»Das sehe ich.«
»Mehr nicht?«
»Es ist sein Schicksal. Er hätte nicht herkommen dürfen.«
Maxine sagte nichts. Sie drehte sich zu mir hin um. Jetzt war ich an der Reihe, und ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass diese Florence Gnade vor Recht ergehen lassen würde. Bis auf eine Ausnahme hatte sie sich auf die Fahne geschrieben, dass alle Menschen schlecht waren. Und genau das hatte sie auch ihren verdammten Ratten vermitteln können. Eine wie sie wollte nicht begreifen, dass es noch immer einen Unterschied zwischen Mensch und Tier gibt.
Genau das sagte ich ihr ins Gesicht.
»Nein!«, schrie sie. »Nein, und abermals nein! Es gibt nur graduelle Unterschiede. Aber Tiere haben ebenso ein Schmerzempfinden wie Menschen. Auch Tiere haben eine Seele. Ebenso wie Pflanzen. Man kann einfach nicht so rücksichtslos mit ihnen umgehen. Ich verbiete das. Und wer so spricht wie du, der hat den Tod verdient, wie auch die vier anderen.«
»Du hast sie gekannt?«
»Ja.«
»Und weiter?«, fragte ich.
»Ich konnte sogar mit ihnen sprechen und musste feststellen, dass sie nicht auf meiner Wellenlänge lagen. Da habe ich sie geholt und in das Rattenloch gesteckt, das sie später wieder ausspie. Es ist so etwas wie eine Hölle, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Das Rattenloch ist das Ende.«
Jedes Wort hatte mich wie ein Hieb unterhalb der Gürtellinie getroffen. In meinem Innern saß eine eisige Kälte fest. Ich brauchte nur in die Augen der Person zu schauen, um zu wissen, dass ich von ihr keine Gnade erwarten konnte.
Aber es war ein neuer Begriff gefallen. Das Rattenloch. Ich schob mein eigenes Schicksal in den Hintergrund und erkundigte mich danach. »Es gibt ein Rattenloch? Wo?«
»Du wirst es erleben.«
»Ja, ich möchte es sehen!«
Diese Antwort überraschte beide Frauen. Während Florence schwieg, schrak Maxine zusammen. Sie flüsterte: »Bist du wahnsinnig oder lebensmüde?«
»Nein, bin ich nicht.«
»Dann sag so was nicht.«
»Warum denn nicht? Ich wäre sowieso hingeschafft worden. Oder etwa nicht?«
»Im Prinzip schon«, sagte Florence.
»Dann gehe ich doch lieber freiwillig mit.« Mir gelang sogar ein Grinsen.
Maxine begriff mein Verhalten trotzdem nicht. Sie starrte mich an. Erst nach zwei Atemzügen konnte sie sprechen. »John, das kannst du doch nicht machen!«, zischte sie mir zu. »Das ist...«
»Allein meine Sache«, sagte ich.
Sie wusste, dass ich mich entschlossen hatte, und schwieg. Ich schaute an ihr vorbei auf Florence. »Mich interessiert das Rattenloch wirklich. Wo kann ich es finden?«
»Nicht hier.«
»Ja, das dachte ich mir.«
»Wir werden gehen müssen.«
»Durch den Wald?«
»Das ist der Weg!«
Maxine wollte es noch immer nicht wahrhaben. Sie hatte viel zu verkraften gehabt und erwachte jetzt aus ihrer Erstarrung. Beide Hände schnappten nach den Schultern ihrer Schwester, und sie zerrte Florence zu sich heran. »Verdammt noch mal, du bist...«
Zwei, drei Ratten sprangen in die Höhe. Schnell wie ein Luftzug waren sie in das Innere des Range Rovers gehuscht und hockten plötzlich auf Maxine’s Beinen. Die Köpfe hielten sie erhoben, die Augen fest auf das Gesicht der Tierärztin gerichtet.
Florence lachte. »Da siehst du, was du angerichtet hast. Normalerweise wären sie dir an die Kehle gesprungen, aber das habe ich verhindert. Denk immer daran, sie mögen nicht, wenn mich die
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