Das Regenmaedchen
ihre Mutter.
Und ihre Geschichte. In diesem uralten Garten voller
Bäume.
Franza schloss die Augen, drängte ihre Müdigkeit zurück,
die Bilder begannen sich zu drehen. Das Kleid mit den Perlenschnüren. Augen wie
Haselnüsse.
Schweigen.
Sie dachte an Port und dass er sie gekannt hatte und dass
sie nicht wusste, wie er sie gekannt hatte, und dass sie auch nicht wusste, wie
weit ihr Misstrauen gehen sollte. Sie dachte, dass er, Port, wahrscheinlich
gerade nach Hause gekommen war, sie dachte an die Kaffeemaschine auf dem
Rücksitz ihres Autos und dass sie eingeweiht gehörte.
Als sie aus der Einfahrt hinaus auf die Straße bog, stand
Max am Fenster seines Schlafzimmers im ersten Stock und blickte ihr hinterher.
Am Morgen würde er einen Zettel finden, rasch hingeworfene Sätze. Muss noch
mal ins Büro. Werde da schlafen. Mach dir keine Sorgen. Er würde
den Kopf schütteln und die Stille des Hauses spüren, seine Größe, seine Leere.
Als sie abbog in Ports Straße, spürte sie den Druck in
ihrem Magen wieder, zu viel Kaffee, zu viele Kekse, viel zu viel Kaffee, und
zum wiederholten Male nahm sie sich vor, zum Arzt zu gehen. »Du wirst noch auf
Borgers Tisch landen«, hatte Herz geunkt, und Franza hatte sich ein müdes
Grinsen abgequält. Vor Ports Haus war kein Parkplatz frei, sie drehte eine
Runde und stellte das Auto dann in die nächste Seitenstraße. Vielleicht war das
gut so. Tarnen und täuschen war die Devise. Keiner sollte ihr zweites
Leben entdecken. Während sie langsam zurückging zum Haus, dachte
sie an ihn, an Port. Wahrscheinlich war es eine blöde Idee gewesen,
hierherzukommen, mitten in der Nacht. Wahrscheinlich schlief er schon,
hundemüde und ausgelaugt von der Arbeit, die er Abend für Abend auf der Bühne
zu vollbringen hatte.
Vielleicht aber war er auch nicht allein, und
unbestechlich, wie sie sich selbst gegenüber war, wusste Franza, dass es das
war, was sie am allermeisten beunruhigte, diese Vorstellung, dass es andere
geben konnte, mit denen er zusammen war und denen er mehr gab als nur ein Wort
oder einen Blick. Jetzt. In dieser Sekunde zum Beispiel.
Vielleicht war eine Kollegin bei ihm. Oder irgendeine
Verehrerin. Eine wie Marie. Die das Stück beschissen fand, ihn aber ganz und
gar nicht.
Vielleicht war aber auch der Regisseur bei ihm, der
Regisseur dieses nächsten Stückes, dessen Hauptrolle er, Port, unbedingt haben
wollte, vielleicht verdiente er sich gerade diese Hauptrolle, und sie störte
ihn nun dabei.
Was wusste sie, Franza, überhaupt von ihm, Port, und
welche Rechte hatte sie?
Keine. Natürlich keine!
Sie schüttelte unwillig den Kopf, spürte Ekel in sich
aufsteigen, Ekel über sich selbst, weil sie nun hier stand vor seinem Haus und
ihm so offensichtlich nachspionieren wollte und so offensichtlich dabei war,
die Kontrolle über sich und ihre Gefühle zu verlieren. Scheiße, dachte sie.
Scheiße! Und wünschte sich seine Hände herbei, über ihre Haut gleitend, über
ihr Haar. Was verbarg sich hinter seinem gelassenen, hübschen
Schauspielergesicht? Seinen spöttischen Augen? Wenn er die Brauen hochzog,
wusste man nie, woran man war. Aber seine Hände waren ehrlich auf ihrer Haut
und sein Körper das Wahrhaftigste, das sie sich im Augenblick vorstellen
konnte. Scheiße auch, dachte sie. Scheiße auch, eine Frau zu sein, nicht nur
diese Kommissarinnen-Maschine, diese Boss-Maschine, die immer funktionierte,
die noch nie aus dem Ruder gelaufen war.
Sie trat in Ports Hauseingang und lehnte sich gegen die
riesige Tür. Vor Kälte zitternd, rieb sie sich die Arme, schüttelte erneut den
Kopf. Welche Abgründe trug sie mit sich herum, welche Zweifel? Und er? Port?
Trug er Abgründe mit sich herum?
Wann war er, nur zum Beispiel, gestern nach Hause
gekommen? Vor Mitternacht? Nach Mitternacht? Gegen Morgen erst? Und wenn, was
hatte er getan? Diese ganze lange Nacht. War sein Gesicht nicht immer noch grau
gewesen, als sie, Franza, bei ihm angetanzt war? Und seine Augen voller
Schatten? Und war es vielleicht sein Herz, das
schwarz war wie die Nacht, und sah sie es einfach nicht, weil sie es nicht
sehen wollte?
Heftig zog sie die Luft in die Lungen, sehnte sich nach
einer Zigarette oder einem Glas Schnaps, nach etwas, das man fest in die Hand
nehmen konnte. Sie spürte die Frische der Luft, immer kühlte es stark ab in den
Nächten, fröstelnd drückte sie sich in den Schatten der Tür.
Was dachte sie sich hier eigentlich zusammen? Wo blieb
ihre Professionalität? Ihr
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