Das Regenmaedchen
liebst, behältst du für
dich. Dann kann's dir keiner nehmen.«
Was für eine Logik, dachte Franza und musste lächeln.
Jungmädchenlogik. Geheimnislogik.
»Aber es hat nicht funktioniert«, sagte Cosima leise.
»Nichts funktioniert.«
Sie räusperte sich. »Wir haben uns in irgendwelchen
Kneipen getroffen. Oder an der Donau. In den Auen. Da war's schön.«
Wieder eine Pause. Franza wartete. Maries geheimes Leben.
Sie mussten schön langsam zu Maries geheimem Leben kommen. Die Zeit lief.
»Cosima«, sagte sie. »Du wolltest mir doch noch was
sagen.«
Cosima schaute auf, tauchte hoch aus ihren Gedanken,
schüttelte plötzlich den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Nichts mehr. Jenny wird mich
umbringen.«
Sie ging zur Tür, wirkte klein, verloren. Ich hab's
verbockt, dachte Franza, Scheiße, ich hab's verbockt.
»Cosima«, sagte sie und versuchte sie festzuhalten. »Du
kannst mir vertrauen!
Vertrau mir doch! Sag mir, was du weißt.«
Cosima blieb stehen. »Frag Ben«, sagte sie. »Ich weiß gar
nichts.«
»Ich kann Ben nicht fragen«, sagte Franza. »Er ist nicht
da. Ich weiß nicht, wo er ist.«
Für einen Augenblick schien Cosima weich zu werden, geriet
ins Schwanken, aber dann schüttelte sie unmerklich den Kopf. »Pech!«, sagte
sie. »Wirklich Pech. Ich muss jetzt.«
Sie öffnete die Tür. Draußen auf dem Boden, an die Wand
gelehnt, saß Jenny. »Gib's ihr«, sagte sie. »Wahrscheinlich hast du recht. Sie
wird wissen, was sie tut. Sie ist Bens Mutter. Also gib es ihr.« Franza hielt
den Atem an, die Zeit blieb stehen. Endlich drehte Cosima sich um, zog etwas
aus den Taschen ihrer Jeans, wog es kurz in den Händen, als müsse sie noch
einmal alles überdenken, und reichte es Franza.
»Hier«, sagte sie. »Das haben wir in einer
Schreibtischschublade gefunden. Wir hatten das Gefühl, wir müssten nach etwas
suchen, als wir sie in der Zeitung gesehen hatten. Wir dachten, das wären wir
ihr schuldig. Wir dachten, wir könnten ... wir wussten ja noch nicht, dass du
...«
»Was ist das?«, fragte Franza und spürte, dass ihr Herz
schneller geworden war und ihr Atem rascher ging.
Cosima hob hochmütig ihre Augenbrauen. »Na, schau's dir
halt an! Oder kannst du nicht mal lesen?«
Dann verschwand sie, hinaus aus der Wohnung, Jenny ihr
hinterher. Franza starrte auf das flache Päckchen in ihrer Hand, gewickelt in
blaues Seidenpapier, verschnürt mit einem Bindfaden. Dann setzte sie sich in
Bewegung, rannte zur Haustür hinunter. Auf den Stufen saß Felix, blickte ihr
erwartungsvoll entgegen. Die Mädchen gingen die Straße entlang, gemächlichen
Schrittes, Hände in den Hosentaschen.
»Danke!«, rief Franza und schwenkte das Päckchen in der
Hand. »Danke!«
Die Mädchen hoben die Hände, gleichzeitig, ohne sich
umzudrehen. Dann bogen sie um die Ecke und waren verschwunden.
Sie setzten sich an Maries Schreibtisch und schnürten
vorsichtig das Päckchen auf. Ein mehrmals gefaltetes Zeitungsblatt kam zum
Vorschein, ein sorgfältig ausgeschnittener Artikel. Das Papier war alt, an
manchen Stellen eingerissen, und an den Knicken, wo es gefaltet gewesen war, konnte
man kaum noch etwas entziffern. Ganz oben hatte jemand mit der Hand ein Datum
notiert, ein Datum von vor mehr als zwanzig Jahren. Außerdem fand sich in dem
blauen Seidenpapier ein Foto, eine Gruppe junger Leute rund um ein Lagerfeuer,
zwei Köpfe waren eingekreist, der eines jungen Mannes und der einer jungen
Frau. Sie wussten sofort, das war der Durchbruch.
Felix' Handy klingelte, es war Arthur. Er fluchte. Weil
nichts weiterging, seine und Roberts Recherchen noch keine Ergebnisse erbracht
hatten. Weil es mehr in Frage kommende Restaurants in der Stadt gab, als sie
gedacht hatten. Und ihm angesichts der Preise aufgefallen war, wie wenig er
verdiente. »Tja«, sagte Herz ungerührt, »da kann ich dir auch nicht helfen.
Natürlich sucht ihr weiter. Und schaut zu, dass ihr heute noch alle Lokale
schafft. Die heiße Phase ist angebrochen. Das bedeutet Sonderschicht. Aber das
weißt du ja.« Seufzend legte Arthur auf. Also wieder nichts mit Feierabend. Er
schaute auf die Uhr und bemerkte gleichzeitig, wie sein Magen knurrte. Das
nächste Restaurant auf seiner Liste war ein Fischrestaurant mit einem
französischen Namen. AU BORD DE LA MER. Sehr
nobel. Sehr teuer. Aus diesem Grunde nicht seine Kragenweite. Und über ein
Spesenkonto verfügte er auch nicht. Also auf zur nächsten Fast-Food-Bude.
Rasch verdrückte er zwei Hamburger mit Pommes, dazu
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