Das Regenwaldkomplott
Kommando.«
Während die zehn zurückbleibenden Polizisten aus trockenen Bananenblättern Fackeln drehten, brach der Haupttrupp zum Regenwald auf. Nichts zeigte an, daß hier ein ganzer Stamm geflüchtet war: keine Fußspuren, keine abgeknickten oder abgehauenen Zweige, kein Pfad durch den Dschungel. Wie unberührt lag der Regenwald da.
Er war es auch. Bilac suchte auf der falschen Seite. Während der ganzen Nacht waren die Yanomami mit ihren Kanus aus Holzstämmen oder Baumrinden auf dem Rio Parima hin- und hergefahren, hinüber zum anderen Ufer, wo der Wald schon in den Fluß hineingewachsen war und Lianen die abgestorbenen, weißgebleichten, wie Skelette aussehenden Bäume umschlangen. In dieser Wildnis waren die Indianer untergetaucht, mit Frauen, Kindern, Greisen, Hühnern, Schweinen, Hunden und dem nötigsten Hausrat, um in der Tiefe des Regenwaldes zu überleben. Der letzte, der am gegenüberliegenden Ufer zurückblieb, war der Medizinmann, der Shaboliwa. Er opferte seiner Hekula ein Huhn und warf dann das geköpfte Tier in den Rio Parima, dessen Strömung es rasch davontrug in die Ewigkeit, um dort um Hilfe zu flehen.
Dann verwischte der Shaboliwa auch die letzte Spur und verschwand im Dunkel des Regenwaldes. Die knurrenden Laute der Ohreulen begleiteten ihn, in den Tümpeln am Ufer quakten die Frösche.
Coronel Bilac befahl nach zwei Stunden, die Suche abzubrechen. Der unberührte Dschungel, durch den sie sich bisher geschlagen hatten, schien zu beweisen, daß hier nicht ein ganzer Yanomami-Stamm verschwinden konnte. Die Indios waren auch nur Menschen, die Spuren hinterließen, so geschickt sie auch vorgingen. Hier aber war ein Wald, den noch niemand betreten hatte.
»Halt!« kommandierte Bilac. Er schwitzte aus allen Poren, die Uniform war durchnäßt. »Suche einstellen! Wir sind an der falschen Stelle. Zurück! Aber wir finden sie! Wir finden sie! Ein ganzer Indiostamm kann nicht einfach spurlos verschwinden! Wir werden weitersuchen, bis wir eine Spur haben!«
Schon von weitem sahen sie die hochlodernden, von Qualm umgebenen Flammen, als sie aus dem Wald traten. Das Prasseln des Feuers, das die trockenen Hölzer, die Strohdächer, die Gerippe der Hütten fraß, klang bis zu ihnen hinüber. Das ganze Dorf war ein Flammenmeer. Ribateio und seine Leute hatten vorzügliche Arbeit geleistet. Bilac war sehr zufrieden. Die Strafaktion verlief erfolgreich – es fehlten nur noch die Menschen.
In geordneter Marschformation kehrte der Haupttrupp zurück. Sie umgingen die knisternden Feuer, zogen am Flußufer entlang, durch eine sengende Hitze, die der schwache Wind von den brennenden Hütten bis zum Rio Parima trug. Auf der Straße, die von der Mission zum Yanomami-Dorf führte, erkannte Bilac ein paar Gestalten – Pater Ernesto, Pater Vincence, Dr. Binder und Beja, die das Feuer aus der Mission hatte eilen lassen.
»Sind Sie nun zufrieden?« fragte Thomas, bevor Bilac etwas sagen konnte, als die Gruppe erreichte.
»Nein!« bellte Bilac zurück. »Die ganze Brut fehlt! Das Dorf ist gewarnt worden und geflüchtet. Aber das nutzt ihnen nichts. Wir finden sie!« Er sah Beja mit seelenlosen Fischaugen an. »Arlindo, wer hatte Kenntnis von Ihrem Telefonat mit mir?«
»Wir hier. Und Luigi und Schwester Lucia –«
»Dann ist der Kreis ja klein.« Der Coronel sah Thomas an. Blick eines Raubtieres, dachte Tom und fühlte einen Schauer den Rücken hinunterlaufen. »Sie haben sicherlich aus humanitären Gründen gehandelt, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen«, antwortete Thomas kühl.
»Sie haben Ihren Doktorgrad bestimmt nicht wegen mangelnder Intelligenz bekommen.«
»Ich verstehe Sie noch immer nicht, Coronel.«
»Sie haben die Yanomami gewarnt!«
»Wohl kaum. Ich beherrsche von der Yanomami-Sprache bisher nur ein paar Worte.« Thomas reckte sich. »Sonst noch etwas, Coronel?«
»Ich werde Sie ausweisen lassen, Dr. Binder.«
»Dann werde ich beim Innenminister Protest dagegen einlegen. Ich werde ihm auch berichten, was ich hier gesehen habe!«
Das fangen wir ab, dachte Bilac gelassen. Der Innenminister ist ein guter Freund von Miguel Assis. Das wird man untereinander regeln, wie üblich. Was weiß dieser deutsche Idiot, wie hier die Fäden geknüpft sind?! Das sind nicht einige Stränge, das ist ein ganzes Netz, das über uns allen liegt und in dem die schönsten Goldfische zappeln! Er sah hinüber zu Pater Ernesto, der stumm, die Hände gefaltet, auf das feurige Inferno
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